Spurstabil mit Wachstumsambitionen

Auch Knorr-Bremse spürt die aktuellen global-ökonomischen Auswirkungen der Pandemie und der sich aktuell bewegenden weltpolitischen Gefüge. Wie der Marktführer für Bremsen auch im Geschäftsbereich Nutzfahrzeuge trotzdem in der Spur bleibt und dabei auch noch wachsen will, erläutern Bernd Spies, Mitglied des Vorstands von Knorr-Bremse und verantwortlich für die Division Systeme für Nutzfahrzeuge, und Alexander Wagner, Bereichsleiter Aftermarket/TruckServices EMEA bei Knorr-Bremse, im Interview mit WERKSTATT aktuell.

Die vergangenen Jahre waren für alle Unternehmen eine echte Herausforderung. Wie haben Sie und Knorr-Bremse diese Zeit wahrgenommen?

Bernd Spies: Ich blicke jetzt auf 30 Jahre im Automotive-Geschäft, davon über 15 Jahre im Truck-Umfeld, zurück. Ich würde sagen, dass die Jahre 2008 und 2009 nicht einfach waren. Aber das, mit dem wir es jetzt seit 2020 zu tun haben, hat alles noch einmal verstärkt. Für das gesamte Team, für alle Menschen, die bei Knorr-Bremse arbeiten, waren das die bisher schwierigsten Jahre. Durch Corona hat sich auch das Leben und die Art zu arbeiten verändert. Für Unternehmen hat sich dadurch der Arbeitsrhythmus verändert. Das allein ist schon eine große Herausforderung. Aber auch die Zeit während Corona, als es dann wieder losging und neue sowie bestehende Lieferketten noch nicht gefunden oder etabliert waren, war ein riesiger Kraftakt. Wir haben uns fokussiert und auf unser Kerngeschäft konzentriert und die möglichst reibungslose Belieferung unserer Kunden in den Vordergrund gestellt. Dass wir das hinbekommen haben, ist eine riesige Leistung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Corona und der Krieg auf europäischem Boden haben Lieferketten gestört und Absatzmärkte wegbrechen lassen. Wie steht es aktuell um die Ersatzteilversorgung und die gesamtwirtschaftliche Entwicklung bei Knorr-Bremse?

Bernd Spies: Durch die Inflation leben wir derzeit in einem Umfeld, das sehr schwierige Rahmenbedingungen generiert. Wir haben Inflationseffekte und die Lieferketten sind noch nicht vollständig normalisiert, aber wir bekommen es immer besser in den Griff. Und wir haben einen Krieg in Europa, der Unsicherheit bei allen Beteiligten generiert, sei es bei der längerfristigen Nachfrage, der Energieversorgung oder den Zukunftsaussichten für Produkte und Märkte. Insofern gibt es für Knorr-Bremse viele Herausforderungen, die das Unternehmen aber sukzessive immer besser bewältigt. Wir erleben zudem gerade eine sehr gute Nachfrage, die teilweise so groß ist, dass wir zwischen verschiedenen Lieferkanälen priorisieren müssen.

Alexander Wagner: Auch im Aftermarket haben wir eine hohe Nachfrage nach Knorr-Bremse-Ersatzteilen. Hier konnten wir die Lieferengpässe ebenfalls sehr gut managen und unsere Kunden bedarfsgerecht bedienen.

Bernd Spies: Es war und ist uns wichtig, dass sich unsere Kunden auf uns verlassen können – manchmal auch zu Lasten unseres Lagerbestands. Das zahlt sich aus. Wir haben einen hohen Auftragsbestand und können Zusatzgeschäfte generieren. Zudem sind unsere Kernmärkte Nordamerika und Europa stabil und entwickeln sich positiv. Auch China erholt sich stetig, ist aber noch nicht auf dem Niveau wie vor drei Jahren.

Info

Dieses Interview erschien im Oktober 2023 in der WERKSTATT aktuell, Heft 3/2023 .

Wir haben uns fokussiert und auf unser Kerngeschäft konzentriert und die möglichst reibungslose Belieferung unserer Kunden in den Vordergrund gestellt. Dass wir das hinbekommen haben, ist eine riesige Leistung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Bernd Spies – Mitglied des Vorstands der Knorr-Bremse AG und verantwortlich für die Unternehmensdivision Systeme für Nutzfahrzeuge

Welchen Einfluss haben die aktuell hohen Rohstoffpreise auf das Geschäft von Knorr-Bremse?

Bernd Spies: Hier muss man unterscheiden, denn Knorr-Bremse kauft keine Rohstoffe, sondern vor allem produzierte Teile ein. Die Rohstoffe folgen bestimmten Indizes, wobei sich hier gerade eine Entspannung einstellt. Doch einen Effekt dessen spüren wir derzeit leider noch nicht. Eine deutliche Erholung der Preise ist nicht in Sicht, da die Energiepreise und Lohnkosten extrem gestiegen und die Transportkosten im Vergleich zu dem Zustand vor der Krise deutlich höher sind. Trotz einer leichten Entspannung kann man nicht davon reden, dass der Markt sich entspannt hat. Und wir werden uns auch nicht darauf einstellen, dass der Markt schnell wieder das Vorkrisenniveau erreicht.

Der Geschäftsbereich Nutzfahrzeuge (CVS) bezifferte im August dieses Jahres ein Umsatzplus von rund 16 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Wird dieser Trend Ihrer Meinung nach bis Ende 2023 anhalten?

Bernd Spies: Wir haben dank der positiven Entwicklung der Nutzfahrzeugbranche ein gutes erstes Halbjahr 2023 hinter uns. Aufgrund des Anstiegs beim Auftragseingang als auch Auftragsbestand in den ersten sechs Monaten bin ich zuversichtlich für das Geschäftsjahr.

Hat die Branche Ihrer Meinung nach also das Schlimmste überstanden?

Bernd Spies: Vorerst würde ich sagen, dass wir gelernt haben Krisen bestmöglich zu managen. Doch die Folgen der Krisen haben wir noch lange nicht überstanden. Durch die schwierigen Lieferketten und die hohe Inflation ist im Markt viel Bewegung. Das spüren die Zulieferer sehr deutlich, die in der Vergangenheit immer der Motor der Branche waren. Doch die Zulieferer müssen auch von der aktuellen Markterholung und den gestiegenen Preisen profitieren. Wir brauchen wieder höhere Margen, damit sich auch die Branche weiter gut entwickeln kann – mit E-Mobilität und automatisiertem Fahren stehen große Veränderungen und damit sehr hohe Investitionen an.

Im Aftermarket besteht nach Angaben von Alexander Wagner, Bereichsleiter Aftermarket/TruckServices EMEA bei Knorr-Bremse, eine hohe Nachfrage nach Ersatzteilen. Lieferengpässe konnte der Zulieferer während der Corona-Zeit gut managen und Kunden bedarfsgerecht bedienen.

Trotzdem gab Knorr-Bremse bereits im Juni vorigen Jahres bekannt, eine Mehrheitsbeteiligung am spanischen Mobilitätsdienstleister Cojali erworben zu haben. Wer ist Cojali und welche Marktposition hat das Unternehmen inne?

Alexander Wagner: Cojali ist einer der weltweit führenden Anbieter von Werkstattausrüstung und das speziell im Bereich Nutz- und Sonderfahrzeuge. Es ist ein spanisches Unternehmen, das auf eine erfolgreiche Unternehmensgeschichte von mehr als 30 Jahren zurückblickt und dem Kunden nicht nur eine Werkstattausrüstung als Hard- und Software, sondern auch einen umfangreichen technischen Support anbietet.

Wie finanzstark ist Cojali und wie passt der Anbieter für digitale Diagnose in das Portfolio von Knorr-Bremse?

Alexander Wagner: Cojali hat 2022 einen Umsatz von rund 90 Millionen Euro erzielt und hatte in den vergangenen Jahren ein niedriges zweistelliges Wachstum. Mittelfristig wird das Unternehmen einen dreistelligen Millionenbetrag erreichen und weiter wachsen, davon sind wir überzeugt. Mit Blick auf das Portfolio ist das Aushängeschild von Cojali die Diagnose. Hier ist das Unternehmen einer der führenden Anbieter. Das Mehrmarken-Diagnosesystem Jaltest Diagnostics deckt dabei die Anforderungen eines kompletten Nutzfahrzeugs ab, sowohl die Zugmaschine als auch den Anhänger und das unabhängig von der Fahrzeugherstellermarke. Zudem ist die Diagnose natürlich die Basis im Bereich der Big-Data-Analyse. Dabei lässt sich analysieren, welche Fehler bei welchem Fahrzeug in welchem Zeitraum auftauchen und welche Produkte von dem Fehler betroffen sind. Das gibt uns eine entscheidende Basis, um zukünftig noch weitere Lösungen im Bereich der Digitalisierung anbieten zu können.

Wird Knorr-Bremse, mit Blick auf das Know-how von Cojali, dann künftig Lösungen für die vorausschauende Wartung anbieten?

Alexander Wagner: Aktuell reden wir von Condition-based Maintenance im Rahmen der Remote-Diagnose. Hierbei meldet das Fahrzeug Fehler, die wir heute bereits anhand von Fehlercodes nach ihrer Dringlichkeit clustern können. Und durch die Daten, die wir mit Jaltest Diagnostics generieren, werden wir auch das Thema Predictive Maintenance weiter ausbauen.

Gleichzeitig bietet Knorr-Bremse mit NEO bereits eine etablierte Werkstatt-Diagnose an. Worin unterscheiden sich die beiden Diagnose-Systeme?

Alexander Wagner: Die NEO Werkstatt-Diagnoselösung ist auf das Knorr-Bremse-Portfolio spezialisiert und bietet deshalb auch eine fehlergeführte Diagnose für von Knorr-Bremse entwickelte Systeme an. Die Jaltest-Diagnose arbeitet dagegen marken- und fahrzeugübergreifend. Damit stehen beide Systemlösungen nicht in Konkurrenz zueinander, sondern ergänzen sich. Derzeit arbeiten wir bereits an einer integrierten Lösung , mit einer Diagnose-Hardware für beide Diagnosewelten.

NEO wird also nicht eingestellt?

Alexander Wagner: Nein, es wird den Werkstätten als Modul für die Jaltest-Diagnose-Lösung weiter zur Verfügung stehen. NEO wird dann als Software-Lösung bereitgestellt, weiterentwickelt und auf den Jaltest-Geräten laufen. Auch für die bereits bestehenden Jaltest-Endgeräte wird NEO im Rahmen eines Lizenzmodells zum Download zur Verfügung stehen. Die Weiterentwicklung von NEO wird dann jedoch von beiden Plattform-Partnern gemeinsam vorangetrieben.

Für Bernd Spies, Mitglied des Vorstands der Knorr- Bremse und verantwortlich für die Division Systeme für Nutzfahrzeuge, sind die Folgen der Krisen noch lange nicht überstanden. Zulieferer müssen seiner Meinung nach auch von der aktuellen Markterholung und den gestiegenen Preisen profitieren. Denn sie bräuchten wieder höhere Margen, damit sich auch die gesamte Branche weiter entwickeln kann.

Wie viele Nutzer verwenden die Jaltest-Diagnose?

Alexander Wagner: Was ich Ihnen hierzu sagen kann ist, dass Cojali weltweit eine führende Position einnimmt und die Diagnose von Jaltest heute 6.000 Nutzfahrzeugmodelle und 200 Nutzfahrzeugmarken abdeckt. Auch die Remote-Diagnose, also wenn das Fahrzeug unterwegs ist, trifft in Kombination mit Jaltest Telematics bereits auf großen Kundenzuspruch, so dass derzeit mehr als 20.000 Fahrzeuge bereits mit diesem System auf internationalen Straßen unterwegs sind.

Entstehen für die Bestandskunden von Neo und Jaltest zusätzliche Kosten?

Alexander Wagner: Für das NEO-Modul besteht eine separate Lizenz, die käuflich erworben wird. Den Bestandsnutzern der NEO- respektive Jaltest-Hardware werden wir ein kommerzielles Angebot machen, das den Umstieg auf ein Gesamtpaket der Jaltest-Diagnose interessant machen wird.

Wie begleitet Knorr-Bremse TruckServices seine Kunden bei der Integration der beiden Diagnose-Systeme?

Alexander Wagner: Die Integration beider System ist eigentlich selbsterklärend, da der Leistungsumfang von NEO auch weiterhin zur Verfügung steht, nur eben als integrierte Software. Wir werden aber auch Schulungen anbieten, um die Nutzer entsprechend zu unterstützen. Zudem steht die Technische Hotline sowohl von Knorr-Bremse als auch von Cojali bereit, um die Kunden bedarfsgerecht zu unterstützen.

Derzeit ist der Diesel im Güterverkehr immer noch das Antriebskonzept der Wahl. Nichtsdestotrotz hält die Batterie elektrische wie die Wasserstoff elektrische Mobilität in den Flotten sukzessive Einzug – sowohl bei ziehenden als auch bei gezogenen Einheiten. Das stellt auch die vorausschauende Wartung vor bislang neue Herausforderungen. Wie sind Cojali und Knorr-Bremse hier aufgestellt?

Alexander Wagner: Wie gesagt, haben wir im Bereich der Remote-Diagnose bereits ein Angebot. Damit haben wir auf alles Zugriff, was im Fahrzeug diagnoserelevant ist. Und unabhängig davon welcher Antrieb vorliegt, wird das System den Zustand des Fahrzeugs grundsätzlich überprüfen und kann somit dem Flottenbetreiber oder den Werkstätten die Information zu vorliegenden Fehlern und der Fehlerbeschreibung übermitteln. Das Thema wird weiter ausgebaut in Richtung Predictive Maintenance – auch mit Blick auf Fahrzeuge mit alternativen Antrieben. Wo diese Reise natürlich auch hingehen wird, ist eine Erweiterung hin zur Überprüfung des Batteriezustands, zum Beispiel: Wie schnell entlädt sich die Batterie, wie viel Zeit wird benötigt für einen kompletten Ladevorgang einer Batterie, wie hoch ist die Temperatur des Speichermediums? Das wird kommen.

Die E-Mobilität wird nicht die einzige Herausforderung für Nutzfahrzeugwerkstätten in Zukunft sein. Auch das Thema Nachhaltigkeit wird Werkstätten zukünftig noch mehr beschäftigen als heute.

Alexander Wagner – Bereichsleiter Aftermarket/TruckServices EMEA bei Knorr-Bremse

Bernd Spies: Wichtig wird auch das Nutzerverhalten, das sich mit dem Fortschreiten der E-Mobilität verändern wird. Mittel- bis langfristig werden diese Trucks teurer sein, dürfen deshalb auch weniger still stehen, müssen also mehr auf der Straße sein, und hierfür sind die Remote-Diagnose und Predictive Maintenance extrem wichtig. Die E-Mobilität wird auch die gesamte Transportlandschaft verändern. Die Spediteure werden die neuen Trucks in Zukunft vielleicht auch nicht mehr kaufen, sondern leasen. Auch Pay-per-use-Modelle sind mit Blick auf den hohen Anschaffungspreis durchaus denkbar. Wenn jetzt auch noch das automatisierte Fahren dazu kommt, und die Software des Fahrzeugs ständig ein neues Update benötigt, wird sich das Nutzerverhalten entsprechend verändern. Und hierfür sind wir als Knorr-Bremse vor allem mit einem Unternehmen wie Cojali bestens aufgestellt.

Ganz gleich, ob Verbrenner oder Stromer – gebremst wird immer. Wie blickt Knorr-Bremse und Knorr-Bremse TruckServices auf den Wandel in der Mobilität?

Bernd Spies: Das ist richtig. Doch durch den Wandel hin zur E-Mobilität werden an die Bremse auch neue Anforderungen gestellt. Die E-Trucks von heute sind Dieselfahrzeuge mit E-Motor. Künftige E-Lkw werden rund um diesen neuen Antrieb und die neue Technologie aufgebaut, mit anderen Ansätzen und anderen Plattformen. Vielleicht muss die Bremse für diese kleiner werden und gleichzeitig aber die gleiche Leistung für eine Notbremsung aufbringen. Hierzu gibt es viele Diskussionen. Fest steht, dass sich die Bremse weiter verändern wird. Viele Kunden sind heute schon bereit hierzu mit uns Gespräche zu führen und auch tiefergreifende Partnerschaften einzugehen. Auch beim Thema Bremsstaub-Emissionen sind wir mit unseren Kunden aktiv im Austausch, um neue Lösungen anzubieten. Abseits der Bremse muss aber auch die bestehende Infrastruktur an die neuen Lkw angepasst werden. Was das Thema Ladeinfrastruktur betrifft, ist die Regierung aus meiner Sicht nicht schnell genug, um der Branche zu helfen, damit das Thema weiter forciert werden kann. Hier muss mehr Gas gegeben werden, um der Transportbranche nicht die Luft zum Atmen zu nehmen.

Alexander Wagner: Die E-Mobilität wird nicht die einzige Herausforderung für Nutzfahrzeugwerkstätten in Zukunft sein. Auch das Thema Nachhaltigkeit wird Werkstätten zukünftig noch mehr beschäftigen als heute. Wir haben bereits 2013 damit begonnen, ein breites Portfolio für wiederaufbereitete Produkte auszubauen und ein eigenes Werk für Remanufacturing-Aktivitäten initiiert. Die Reparatur von Elektroniken wird Werkstätten durch den kontinuierlich steigenden Anteil an Elektronik-Komponenten zunehmend beschäftigen. Hierfür arbeiten wir bereits an Lösungen, die eine geführte Elektronik-Reparatur inklusive End-of-Line-Test ermöglichen. Zudem werden neue Fahrzeugmarken kontinuierlich im europäischen Nutzfahrzeugmarkt an Bedeutung gewinnen. Es gibt bereits heute neue chinesische und auch türkische Hersteller, die sich schnell etablieren. Auch für diese arbeiten wir mit Hochdruck an technischen Lösungen, um Werkstätten beim Service dieser Fahrzeuge zu begleiten. Und beim Thema Talent Shortage versuchen wir, die Einstiegshürde für die Verwendung der Werkstatt-Tools zu reduzieren, gerade mit Blick auf die Nutzerführung.

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