Wie Knorr-Bremse mit seinen Lösungen die Mobilität der Zukunft vorantreibt – und welche neuen Impulse das Unternehmen dabei setzt. Das große Interview zur weltgrößten Schienenverkehrsmesse InnoTrans mit Dr. Nicolas Lange, seit vergangenem Jahr als Vorstandsmitglied weltweit verantwortlich für die Rail Division.
Herr Dr. Lange, die Bahnindustrie ist bekanntlich eine sehr langfristige Branche, gerade mit Blick auf die Entwicklungs- und Produktzyklen im Schienenverkehr. Warum lohnt sich ein Messebesuch auf der InnoTrans auch bereits nach zwei Jahren wieder?
Stimmt, für die Schienenverkehrsbranche ist der Zweijahresrhythmus eher kurz. Die InnoTrans ist aber viel mehr als nur eine „Produktschau“. Sie ist zentrale Austauschplattform für zwei wichtige Zukunftsfragen: Wie kann die Bahn den weltweit steigenden Mobilitätsbedürfnissen der Menschen gerecht werden? Und wie bekommen wir mehr Gütertransport auf die nachhaltige Schiene? Von dieser Debatte profitieren wir als Knorr-Bremse außerordentlich: Aus der Breite der Branche erhalten wir ein exzellentes Bild über die Marktbedarfe. Im Gegenzug zeigen wir mit unseren Impulsen, wie wir die Bedarfe der Branche mit innovativen Konzepten adressieren. Dieser Kreislauf zwischen Kunden und Lieferanten ist für die Schienenverkehrsindustrie ein ungemein wichtiger Katalysator für neue Ideen und Lösungen. Unser Messeauftritt ist deshalb auch Einladung, diesen Prozess mit uns zu gestalten. Es wird Zeit, dass wir uns alle wiedersehen.
Welche großen Themen bewegen die Branche?
Das ist regional unterschiedlich. Europa bewegt derzeit vor allem die Nachhaltigkeit. Sie ist – Stichwort: Green Deal – aktuell Treiber für erhebliche Investitionen in den Eisenbahnverkehr. In Asien, ganz besonders in China und Indien, herrscht ein enormer Bedarf nach Transportkapazitäten. Allen dort ist klar: Ohne die Schiene wird man dem Transport von Milliarden von Menschen und wachsenden Mengen an Gütern nicht mehr Herr. Damit wird Verfügbarkeit von Zügen immer wichtiger, wenn nicht gar entscheidend. Und in Nordamerika liegt der große Fokus auf dem Frachtgeschäft. Insbesondere Sicherheitsaspekten wird große Aufmerksamkeit entgegengebracht. Aber auch der Passagierverkehr auf der Schiene hat dort ein Momentum. Derzeit projektieren die Amerikaner zwischen Los Angeles und Las Vegas den ersten Hochgeschwindigkeitszug Nordamerikas. Und überall steigen die Ansprüche an den Passagierkomfort.
Dr. Nicolas Lange
Dr. Nicolas Lange ist seit Oktober 2023 Mitglied des Vorstands der Knorr-Bremse AG und verantwortet dort die Divsion Systeme für Schienenfahrzeuge. Er gehört seit über 20 Jahren dem Knorr-Bremse Konzern an. Bevor Nicolas Lange in den Vorstand berufen wurde, war er Vorsitzender der Geschäftsführung der Knorr-Bremse Systeme für Schienenfahrzeuge GmbH. In dieser Funktion leitete Nicolas Lange sowohl das weltweite Bremsengeschäft der Division als auch das Europageschäft, das rund die Hälfte des Divisionsumsatzes generierte.
Knorr-Bremse ist vor allem als Bremsenlieferant bekannt.
Richtig, mit einem Einwand: Wir sind schon lange kein Produktlieferant mehr, sondern haben uns als Systempartner unserer Kunden etabliert. Die Bremse ist unser Kerngeschäft, hier sind wir Weltmarktführer. Mit dem Digitalen Elektro-Mechanischen Bremssystem bringen wir beispielsweise eine weitere hochentwickelte Technologie auf den Markt, die dank Elektrifizierung und Brake-by-Wire für noch mehr Eco-Effizienz, Zuverlässigkeit und Performance sorgt. Zudem ist die Bremse nicht nur eines der sicherheitskritischen Systeme am Zug. Mit ihr können wir auch den Verkehrsfluss verbessern und die Kapazitäten auf der Schiene vergrößern. Denn Abstände zwischen Zügen hängen maßgeblich von der Bremsperformance ab. Solche Zusammengänge sind erklärungsbedürftig. Auch das macht die Messe so wertvoll.
Welche Schwerpunkte setzt Knorr-Bremse in diesem Jahr?
Ecological Footprint, Traffic Flow, Lifecycle-Management und Passagierkomfort sind die großen Themen, die bei Herstellern und Betreibern von Schienenfahrzeugen unter den Nägeln brennen. Alle technologischen Entwicklungen leiten wir konsequent aus diesen Herausforderungen und Bedarfen ab. Unser Anspruch sind Technologien, die den Markt antreiben.
Was haben die Kunden davon?
Mit unseren Lösungen leben wir den Anspruch, das Gesamtsystem Bahn entscheidend mitzugestalten. Dabei gilt unsere Prämisse, für jeden Kunden eine optimale, weil maßgeschneiderte Lösung zu bieten. Zum Beispiel hinsichtlich regionaler Besonderheiten, klimatischer Einflüsse oder regulatorischer Rahmenbedingungen. Einem Baukasten gleich versetzen wir Hersteller und Betreiber in die Lage, aus unserem Ökosystem an Systemen, Funktionen, Produkten und Services die optimalen Lösungen zusammenzustellen. Wo sinnvoll und möglich, setzen wir auf Modularität. Wer einen Zug baut oder ihn betreibt sollte Lösungen an Bord haben, die absolut sicher und hochzuverlässig sind.
Bei der InnoTrans vor zwei Jahren hatten wichtige Digitalisierungsinitiativen bereits Fahrt aufgenommen. Wo steht Knorr-Bremse bei dem Thema heute?
Dass der gesamte Schienenverkehrsmarkt bei der digitalen Transformation schon weiter sein könnte, ist kein Geheimnis. Wichtig ist, dass das Bewusstsein für den Nutzen der Digitalisierung in der Branche angekommen ist. Was Knorr-Bremse angeht: Evolutionstechnisch sind wir in den vergangenen beiden Jahren entscheidende Schritte weitergegangen. Die meisten unserer Systeme können smart aufgerüstet werden. Jetzt geht es darum, aus den Daten Mehrwert für unsere Kunden zu generieren, sie in konkrete Beiträge für höhere Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Effizienz zu überführen. Die Potenziale der Digitalisierung sind gerade im Bahngeschäft enorm.
Das Bewusstsein für den Nutzen der Digitalisierung ist in der Rail-Branche angekommen.
Dr. Nicolas Lange – Mitglied des Vorstands der Knorr-Bremse AG mit weltweiter Verantwortung für die Division Systeme für Schienenfahrzeuge
Gibt es hier schon konkrete Anwendungen?
Wir sind in zahlreichen Kundenprojekten involviert, in denen der Mehrwert durch Daten schon heute ausgespielt wird. Data Insights, smarte Handlungsempfehlungen und Remote-Diagnosen heben Betrieb und Wartung bei unseren Partnern auf ein neues Effizienzlevel. Und unsere Innovationen rund um den Digitalen Güterzug, die Digitale Automatische Kupplung und weitere Automatisierungstechnologien werden in den kommenden Jahren dazu beitragen, endlich auch im Güterverkehr die Weichen vom oft noch analogen ins digitale Zeitalter zu stellen. Technologisch sind wir einer der Taktgeber dieses Epochenwechsels.
Wie sieht die Zusammenarbeit mit den Kunden bei digitalen Produkten aus?
Das Baukastenprinzip der physischen Produkte wenden wir auch bei unseren digitalen Angeboten an, von der Individuallösung bis zur Softwareplattform. Erneut ist es der Kunde, der nach seinen Bedürfnissen entscheidet: Möchte er beispielsweise die Daten aus seinen Knorr-Bremse Subsystemen selbst weiterverarbeiten? Dann bekommt er sie von uns zur Verfügung gestellt. Passt ihm Software-as-a-Service oder eine Cloud-Anwendung besser ins Konzept? Dann stellen wir ihm dies zur Verfügung. Ist ihm eine Plattform mit einer auf ihn zugeschnittenen grafischen Benutzeroberfläche lieber? Auch das kann Knorr-Bremse.
Mit dem Datenfluss zum Beispiel vom Zug in die Cloud steigt die Gefahr von Cyberbedrohungen.
Unser Sicherheitsversprechen endet nicht beim Bremsweg. Allen unseren Entwicklungen liegt ein konsequenter „Secure-by-Design“-Ansatz zugrunde. Im Betrieb schirmen wir unsere Systeme mit sogenannten Defence-In-Depth-Prinzipen der gestaffelten Sicherheit vor unerlaubten externen Zugriffen ab. Die nötige Kompetenz dazu haben wir schon vor Jahren aufgebaut – lange bevor Cybersicherheit wegen neuer gesetzlicher Vorgaben und Kundenerwartungen ein echtes Muss wurde.
Vor wenigen Wochen hat Knorr-Bremse das Haus nochmals erweitert und das konventionelle Bahnsignaltechnikgeschäft von Alstom Signaling Nordamerika übernommen. Was steckt dahinter?
Akquisitionen dienen bei uns nie einem Selbstzweck. Der Signaltechnik-Sektor ist für unsere Kunden vor dem Hintergrund von Digitalisierung und Vernetzung sehr interessant – und damit auch für uns. Sicherheit und Kapazität werden im Bahnverkehr neben der Infrastruktur maßgeblich von Bremsen und Signaltechnik mitbestimmt. Das macht die integrierte Betrachtung dieser Elemente attraktiv. Wichtig für den Gesamtkontext: Wir werden nicht in den Wettbewerb mit unseren Kunden treten. Aber wir wollen uns künftig auch in der Signaltechnik zu einem Tier-1 Plattformpartner mit Produkten, Systemen und Services entwickeln, von denen die etablierten Hersteller profitieren.
Und auf was freuen Sie sich persönlich am meisten auf der InnoTrans?
Ich bin ein Mensch, der über Kontakte lebt. Deshalb freue ich mich auf intensive Gespräche mit unseren Kunden und Partnern. Ich will wissen, was sie antreibt und gemeinsam mit ihnen auf den Schienenverkehr von Morgen blicken. In diesem Jahr hat die Messe zudem eine ganz persönliche Komponente: Vor mehr als 20 Jahren war ich zum ersten Mal auf der InnoTrans, damals als technischer Verantwortlicher für ein Produkt im Bereich der Bremse. Ich wusste: Mit dieser Lösung leisten mein Team und ich „unseren“ Beitrag. Im September werde ich nun zum ersten Mal als Rail-Vorstand vor Ort sein, wahrscheinlich genauso stolz wie damals sein und denken: Alles, was auf diesen beeindruckenden 1.000 Quadratmetern zu sehen ist, hat diese Organisation, hat „unser“ weltweites Team geleistet. Was für ein großartiger Perspektivwechsel!