„Wir schaffen langfristige Wachstumspotenziale“

Als Weltmarktführer für Brems- und weitere Subsysteme in Schienen- und Nutzfahrzeugen investiert Knorr-Bremse in die Digitalisierung seiner Produkte, Strukturen und Prozesse – zum Nutzen des Geschäfts, seiner Kunden und Mitarbeitenden. Welche Chancen und Herausforderungen sind damit verbunden? Ein Gespräch mit Dr. Jürgen Wilder, im Knorr-Bremse Vorstand verantwortlich für die Digitalisierung im Konzern, IT-Chef Michael Hilzinger und András Sávos, Head of Digitalization & Process Optimization.

Herr Dr. Wilder, welche Motivation und welche Erwartungen stecken hinter der Digitalisierungsstrategie von Knorr-Bremse?

DR. JÜRGEN WILDER: Die Digitalisierung birgt enorme Potenziale für unser Business. Für einen Technologieführer wie uns, der seit Jahrzehnten auf seinen Schlüsselmärkten führend ist, sind erfolgreiche Investitionen in die Digitalisierung jedoch kein Sprintrennen, es ist ein Marathonlauf, dafür mit langfristiger Perspektive. Hierbei sehe ich zwei klare Zielsetzungen: Erstens müssen wir konsequent aus unserem soliden Kerngeschäft heraus digitalisieren, nur dann werden wir nachhaltig profitieren. Wenn wir unser bewährt erfolgreiches Geschäft um digitale Lösungen und neue Produkte und Services weiterentwickeln, dann können wir für unsere Kunden im laufenden Betrieb einen konkreten Nutzen schaffen. Zweitens wollen wir durch die Digitalisierung unser eigenes Unternehmen optimieren – ich denke dabei an digitalisierte Prozessketten in der Fertigung oder Verwaltung. Hierbei erreichen wir schon heute durch viele Projekte und Initiativen klare Verbesserungen, die uns effizienter, transparenter und schneller machen.

Welche Vorteile haben die Kunden von digitalen Produkten und Dienstleistungen?

DR. JÜRGEN WILDER: Digitalisierung ist essenziell, um unser hocherfolgreiches Geschäft in die Zukunft zu führen. Ein langfristiger Kundennutzen entsteht jedoch nur, wenn wir unser Angebot an sicherheitskritischen Transporttechnologien stetig weiterentwickeln – und zwar anhand unserer einmaligen Tiefenexpertise und nicht aus dem Elfenbeinturm heraus. Denn in puncto Domain-Know-how bei Mechanik und der Mechatronik macht uns weltweit keiner etwas vor. Damit besitzen wir beste Voraussetzungen, um die führenden Knorr-Bremse Systeme und Lösungen um smarte, digitale und automatisierte Funktionen zu erweitern. Dazu gehört auch, dass wir generierte Daten bei Knorr-Bremse als wertvolle Ressource verwenden. Mit diesen Informationen können wir im Zusammenspiel mit unseren Kunden den Betrieb von Schienen- und Nutzfahrzeugen ganz entscheidend optimieren. Schon dadurch verschafft die Digitalisierung unseren Kunden und uns einen klaren Mehrwert.

Wie bewerten Sie den Status quo bei Knorr-Bremse in Sachen Digitalisierung?

DR. JÜRGEN WILDER: Wir haben durch umfassende Investitionen wichtige Meilensteine erreicht. Zudem bündeln wir unsere Kräfte, um noch schneller voranzukommen. Dazu haben wir beispielsweise das Projekt North Star ins Leben gerufen. Dieses regelt die Digitalisierung von Prozessen entlang der Wertschöpfungskette im Unternehmen. Wir haben alle Kernprozesse unter die Lupe genommen und strukturiert – zum Beispiel in den Bereichen Manufacturing, Logistik, Vertrieb oder Human Resources – und ein Zielbild entwickelt, wie diese in einer voll digitalisierten Welt aussehen können. Diesem Zielbild nähern wir uns nun Schritt für Schritt: In unseren vernetzten Fabriken sind beispielsweise schon heute große Datendrehscheiben im Einsatz. Sie verbessern die Produktivität und Auslastung unserer Anlagen signifikant. Ganz wichtig ist mir bei alledem, dass wir nicht aus der Zentrale heraus digitalisieren, sondern mit unseren weltweiten Geschäftseinheiten gemeinsam definieren, welche Prozesse wir als erste angehen. Dafür haben wir auch mit dem Process Digitalization Council einen organisatorischen Rahmen geschaffen.

Dr. Jürgen Wilder ist Mitglied des Vorstands bei Knorr-Bremse und verantwortlich für die Digitalisierung im gesamten Konzern.

ANDRÁS SÁVOS: Der Process Digitalization Council, dem neben uns auch Geschäftsführer der beiden Divisionen angehören, und das Projekt North Star sollen die Prozessdigitalisierung bei Knorr-Bremse weiter beschleunigen. Beispielsweise wollen wir uns stärker von digitalen Insellösungen lossagen und gruppenweite Lösungen entwickeln. Das gelingt, indem wir Lösungen in den Divisionen auf den Prüfstand stellen und nach Synergien suchen. Zudem ist für uns als weltweit agierender Konzern die Skalierbarkeit digitaler Lösungen enorm wichtig. Voraussetzung dafür ist es, viele Prozesse erst einmal gruppenweit zu harmonisieren und zu standardisieren. Daran arbeiten wir.

Herr Hilzinger, wie definieren Sie die Rolle der IT bei diesem Wandel?

MICHAEL HILZINGER: Die Digitalisierung hat bereits vor vielen Jahrzehnten begonnen. In der ersten Phase ging es darum, Teilprozesse digital abzubilden. Das hat zu vielen nützlichen, individuellen Lösungen geführt, war aber nicht selten auch mit Systembrüchen verbunden. Seit etwa einem Jahrzehnt sprechen wir von der digitalen Transformation. Hier richten wir viel stärker den Blick auf den gesamten Wertschöpfungsprozess in einem Unternehmen vom Anfang bis zum Ende. Die IT erfüllt hier einerseits eine beratende Rolle, etwa bei der Frage, wie genau die Prozesse in einer Software abgebildet werden können. Das erfordert einen intensiven Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen, die die Geschäftsprozesse aus ihrer täglichen Arbeit heraus genau kennen. Andererseits hat die IT eine befähigende Rolle, wenn sie als Ermöglicher eine Lösung implementiert und danach sicher, zuverlässig und skalierbar betreibt.

Können Sie die IT-Strategie beschreiben, die sich daraus für Knorr-Bremse ableitet?

MICHAEL HILZINGER: Wir haben bereits 2019 die Mission für unsere IT ausgegeben. Sie lautet: Enable the business. Damit meinen wir, dass alles, was wir tun, in irgendeiner Form dem operativen Geschäft einen Vorteil verschaffen muss. Aus dieser Maxime haben wir unsere IT-Strategie mit vier Säulen abgeleitet. Die erste Säule ist die Governance als Rahmenwerk der Interaktion zwischen IT und Business, die zweite die Technology Platform als technisches Fundament, die dritte die Geschäftsanwendungen, die auf der Plattform laufen, und die vierte Säule schließlich ist der Bereich Data und Integration Management, der die Daten aus den Anwendungen erschließt. Gerade diese Daten werden unsere IT-Prozesse in Zukunft noch stärker in Richtung unserer Kunden und weiterer Stakeholder ausrichten.

Michael Hilzinger ist Chief Information Officer (CIO) bei Knorr-Bremse.

Welche Produkte und Services will Knorr-Bremse mit Vorrang digitalisieren?

DR. JÜRGEN WILDER: Bei unseren Systemen und Produkten für Schienenfahrzeuge bildet die sogenannte Condition-Based Maintenance einen Schwerpunkt. Dabei werden Wartungen unserer weltweit in Zügen verbauten Systeme wie Bremsen, Türen und Klimaanlagen nicht mehr nach festen Intervallen, sondern vorausschauend auf Grundlage von Echtzeitdaten durchgeführt, die detaillierte Auskünfte über den aktuellen Zustand der Systeme geben. Das spart den Flottenbetreibern Zeit und Geld, zugleich erhöht es die Verfügbarkeit von Fahrzeugen auf der Strecke erheblich. Voraussetzung dafür ist die Ausrüstung der Systeme mit Sensorik und intelligenter Technik. Außerdem entwickeln wir digitale Services zur sogenannten Lifecycle-Optimierung, die Züge energieeffizienter machen und ihre Einsatzfähigkeit verlängern. Bei den Nutzfahrzeugen arbeiten wir vor allem an der digitalen Vernetzung, der Connectivity, die intelligente Telematiklösungen und innovative Wartungskonzepte ermöglicht – auch unter Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Bei alledem schaffen wir einen Mehrwert, für den der Kunde bereit ist zu zahlen. Das eröffnet uns sehr attraktive Geschäftsansätze wie beispielsweise Abo- und Mietmodelle für Produkte und Services.

Herr Sávos, mit Blick auf die Prozesse, wie gehen Sie bei der Digitalisierung hier vor?

ANDRÁS SÁVOS: Wir haben alle Geschäftsbereiche im Blick. Natürlich setzen wir einzelne Schwerpunkte, etwa in der Supply Chain, in der Produktion oder im Einkauf. Aber wir wollen die North Star-Denkweise in alle operativen Prozesse integrieren und in der Organisation verankern. Dafür brauchen wir eine hohe Akzeptanz und ein gemeinsames Verständnis, was wir erreichen wollen und wie wir die Vorteile von Digitalisierungsprojekten für das Geschäft definieren. Denn viele Themen scheinen auf den ersten Blick sehr einfach und eindeutig zu sein, sind es bei genauer Betrachtung aber gar nicht. Deswegen ist es hilfreich, zu messen, wie erfolgreich wir bei einem Projekt sind. Darauf basierend können wir auch entscheiden, in welchen Bereichen wir noch intern Fähigkeiten aufbauen müssen und wo wir uns externe Expertise hereinholen.

Wie sieht Ihre Roadmap dabei aus?

ANDRÁS SÁVOS: In unserer Roadmap ist vor allem 2023 eine wichtige Stufe. Dann starten wir beispielsweise die Umstellung auf SAP S/4HANA als neue und zukunftsträchtige Plattform für viele Business-Prozesse. Während dieser Transition, die alle wichtigen Geschäftsbereiche umfasst, werden wir unsere Fähigkeiten systematisch messen und Potenziale zur weiteren Automatisierung identifizieren. Dabei setzen wir auch Process Mining-Technologien ein.

András Sávos ist Head of Digitalization and Process Optimization bei Knorr-Bremse.

MICHAEL HILZINGER: Nehmen wir zum Beispiel den Einkaufsprozess von der Auswahl eines Lieferanten bis zur Bezahlung: Mit Process Mining können wir mögliche Brüche in der Prozesskette ganz genau lokalisieren. Das ist wichtig, wenn ich von harmonisierten Prozessen zu standardisierten Prozessen kommen will – und die wiederum brauche ich, wenn ich die Prozesse weiter automatisieren will.

Knorr-Bremse hat mehr als 115 Jahre Erfahrung. Welcher Kulturwandel ist nötig, um es zu einem voll digitalen Unternehmen zu machen?

DR. JÜRGEN WILDER: Knorr-Bremse verfügt schon über eine starke und erfolgreiche Unternehmenskultur. Wir sind nicht umsonst Technologie- und Innovationsführer in unseren Branchen. Wir müssen also nicht das Rad neu erfinden. Aber wir wollen uns und unseren Kunden mit den zuvor ausgeführten Lösungen neue Horizonte eröffnen und langfristige Wachstumspotenziale schaffen. Dabei hilft es, in digitalen Prozessen und Lösungen zu denken. Es hilft, agil zu denken. Und es hilft, die Denkmodelle der besten Digitalexperten und Talente so anzunehmen, dass sie sich bei Knorr-Bremse wohlfühlen und gerne hier arbeiten. Das alles zahlt auch in Zukunft auf unsere Erfolgsstory als nachhaltiger Weltmarktführer ein. Denn bei Knorr-Bremse arbeiten wir an Transportlösungen, die Mobilität noch sicherer und unseren Planeten jeden Tag ein bisschen besser machen. Sei es auf der Schiene, wo wir ohnehin schon in großen Teilen elektrisch fahren, sei es beim Nutzfahrzeug, wo die Elektrifizierung gerade beginnt.

Meine Herren, vielen Dank für das Gespräch.

Steckbriefe

Dr. Jürgen Wilder:

Dr. Jürgen Wilder ist seit September 2018 als Mitglied des Vorstands der Knorr-Bremse AG weltweit verantwortlich für die Division Systeme für Schienenfahrzeuge sowie für die Digitalisierung im Konzern. Der promovierte Physiker war zuvor von 2015 bis 2017 Vorstandsvorsitzender der DB Cargo und damit für den weltweiten Schienengüterverkehr der Deutschen Bahn zuständig. Nach seiner Promotion war Wilder wissenschaftlicher Mitarbeiter in Harvard. Er begann seine Tätigkeit in der Wirtschaft bei Siemens. Stationen dort waren unter anderem CEO Rolling Stock Business USA, Head of Strategy Infrastructure and Cities Sector sowie vor seinem Wechsel zu DB Cargo CEO Global Business Unit Mainline Transportation.

Michael Hilzinger:

Michael Hilzinger ist seit Juli 2019 CIO von Knorr-Bremse und Geschäftsführer der Knorr-Bremse Services GmbH. Er berichtet an den Vorstandsvorsitzenden. Zu seinen aktuellen Prioritäten zählen: IT-Strategie und Transformation, Digitalisierung und datengetriebene Geschäftsmodelle, Cloud Transformation und SAP S/4HANA Implementierung. Michael Hilzinger ist seit mehr als zwanzig Jahren im strategischen IT Management tätig und greift auf umfassende internationale Erfahrung zurück. Zu seinen Stationen vor Knorr-Bremse zählen Tätigkeiten als CIO von Klöckner & Co. und ThyssenKrupp Elevator Europa.

András Sávos:

András Sávos ist seit Oktober 2021 Vice President and Head of Digitalization and Process Optimization bei Knorr-Bremse. Zu seinen aktuellen Prioritäten zählen: Digitalisierung, datengetriebene Use Cases, digitale Transformation, strategischer Ansatz zum Thema Digitalisierung, Data science, Prozessautomatisierung, Prozessoptimierung, der Übergang zur Software SAP S/4 Hana sowie die IFRS-goes-ERP-Implementierung. András Sávos ist seit mehr als 20 Jahren bei Knorr-Bremse tätig – sowohl in der Division Truck als auch in der Division Rail. Zu seinen Stationen bei Knorr-Bremse zählen Tätigkeiten als Vice President Global Enterprise Systems and Strategic Projects sowie als Managing Director von Knorr-Bremse Rail Systems Budapest.

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