Wiege der Zukunft

Der Namenszug des eCUBATORs von Knorr-Bremse am Eingang eines großzügig verglasten Bürogebäudes im Münchner Norden hat bescheidene Ausmaße. Die Ambitionen sind umso größer: Die Entwicklungseinheit des Konzerns fungiert als eine Denkfabrik für das Thema E-Mobilität. Hier werden innovative Systeme für das elektrische Fahren und die angepasste Konstruktion von elektrisch angetriebenen Nutzfahrzeugen neu gedacht und entwickelt. Aber wie machen die das? Ein Besuch.

Vier Kilometer entfernt vom Hauptsitz von Knorr-Bremse befindet sich der eCUBATOR, die neueste Denkfabrik des Konzerns. Die gesunde Mitteldistanz ermöglicht eigenständiges Arbeiten in flachen Hierarchien – gleichzeitig sind die Entwickler aber auch noch nah genug an der „Schaltzentrale“ des Firmenstammsitzes. Dirk Hochstein, studierter Fahrzeugtechniker und ausgebildeter Kfz-Mechaniker mit 27 Jahren Branchenerfahrung, leitet als Vice President E-Mobility seit Februar 2020 den eCUBATOR.

Rund 60 Ingenieure, Software- und System-Experten werden verteilt an den externen eCUBATOR-Standorten in München und Budapest an innovativen Lösungen für Nutzfahrzeuge im Bereich E-Mobilität arbeiten. Auch besteht ein regelmäßiger Austausch mit den Regionen Nordamerika und China. Dahinter steht mehr als nur ein weiterer logischer Schritt im wachsenden Geschäftsfeld Elektromobilität. Dirk Hochstein sagt: „Wir beginnen hier die Evolution gänzlich neuer Systeme und Denkweisen, mit denen wir das elektrische Fahren von morgen mitgestalten und den Herausforderungen der Elektromobilität innovativ begegnen.“

Offen, hell, kommunikativ: Der eCUBATOR steht für ein agiles Arbeitsumfeld, funktionsübergreifende Teams und flache Hierarchien.
Gedanklicher Freestyle bei klarer Strategie: Der eCUBATOR hat als Ideenfabrik für zukünftige Systemintegrationen in E-Fahrzeuge seinen Betrieb aufgenommen.

Schnittstellen zum Konzern

Dabei wird der eCUBATOR nicht als abgeschlossenes Ökosystem funktionieren, die hier generierten Ideen sollen in den Konzern getragen und dann in den Business Units weiterentwickelt werden. Schnittstellen sind zum Beispiel die regelmäßigen Treffen des TIM Innovations-Komittees, in dem Experten aller Fachbereiche Entwicklungen von Märkten und Technologien diskutieren. „Es existiert auch ein enger Austausch mit dem Vorstand für Nutzfahrzeuge, Dr. Peter Laier, sowie der Geschäftsführung“, sagt Dirk Hochstein. Das Wort Austausch ist bewusst gewählt: „Wir diskutieren intensiv, das ist kein klassisches Reporting, vielmehr geben uns die Vorgesetzten in diesen Runden direktes Feedback und neue Impulse.“

Außerdem sollen im eCUBATOR in den kommenden drei Jahren neue Geschäftsfelder, Partner und Allianzen rund um das Thema E-Mobilität erschlossen werden. „Dabei praktizieren wir ein stark vernetztes und kollaboratives Arbeiten, das wir aktiv und bewusst pflegen,“ sagt Matthias Seidenschwang, Chief Product Owner E-Mobility. Das gilt auch für die Experten, mit denen die Münchner am zweiten Standort im ungarischen Budapest zusammenarbeiten. Der Draht dorthin ist sehr eng und direkt, auch dort werden Hierarchien so flach wie möglich gehalten.

„Gleichzeitig beobachten wir sehr aufmerksam die Märkte. Wir prüfen Akteure hinsichtlich möglicher Partnerschaften oder Akquisitionen“, erläutert Matthias Seidenschwang weiter. Der Fokus ist dabei auf die Elektrofahrzeuge der zweiten Generation gerichtet, die ab dem Jahr 2025 auf den Markt kommen werden. Um dieser Zukunft dann schon einen Schritt voraus zu sein, beschäftigt man sich heute unter anderem mit künftigen Energiemanagement-Systemen, elektromechanischen Aktuatoren sowie erweiterten Funktionen zur Fahrzeugstabilisierung und zum Antrieb.

Neu Denken. Anders Arbeiten.

Die Aufgabe, das Thema „Elektromobilität“ dabei ganz neu zu denken, erfordert nach Meinung von Daniel Geis-Esser, Product Manager Customer Strategy E-Mobility, „viele unserer Erfahrungen und Überzeugungen abzulegen“. Dieses neue Denken gelinge nur mit neuen Formen der Arbeit. Dafür ist der eCUBATOR speziell ausgerichtet: Das moderne Großraumbüro im Start-up-Ambiente befindet sich im dritten Stockwerk eines verglasten Gewerbebaus und der Grundriss ist offen, hell, kommunikativ und auf Kollaboration ausgelegt.

Zwei Besprechungsräume bieten Rückzugsmöglichkeiten, einer davon ist für Videokonferenzen konzipiert. Die klassischen Besprechungstische sucht man vergebens, niemand soll sich hinter seinem aufgeklappten Laptop verstecken. Stattdessen sieht man die Mitarbeiter hinter höhenverstellbaren Stehtischen, auf Sitzmöbeln oder Sitzsäcken verteilt. Die Mitarbeiter arbeiten mit agilen Methoden, wie zum Beispiel Scrum. In dieser aus der Softwareentwicklung adaptierten Arbeitsweise werden Projekte in kleine Vorhaben gestückelt, und konzentriert in 14-tägigen Sprints umgesetzt. Dann wird erneut evaluiert und die nächste Wegstrecke abgesteckt. Dies ist nur ein Beispiel für die kreative und agile Arbeitsweise in interdisziplinären Teams.

In Videokonferenzen tauschen sich die Mitarbeiter zum Beispiel mit den Kollegen in Budapest am zweiten eCUBATOR-Standort des Konzerns aus.

Der Scrum-Master organisiert und evaluiert u.a. "Daily Scrums" und "Sprint Reviews". Dabei berichten die Teammitglieder, was sie in den letzten 24 Stunden in ihren Projekten getan haben und was sie in den nächsten 24 Stunden angehen werden.

Neues Denken erfordert neue Formen der Arbeit. Nach dieser Überzeugung ist der eCUBATOR gestaltet worden.

Kreative Arbeitsatmosphäre ist auch im eCUBATOR in Budapest wichtig.

Das internationale Team in Budapest steht stets in engem Austausch mit den Münchner Kollegen.

Die Türen an diesem besonderen Ort stehen auch für Kunden und Partner offen. Die „eCUBATORs“ tüfteln beispielsweise in gemeinsamen Projekten zusammen mit Experten von Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen an neuen Lösungen. Basis ist dabei das Know-how im Konzern – das Ziel ist, mit diesem Rüstzeug neue Wege einzuschlagen. Wie das gelingt, berichten fünf Mitarbeiter des eCUBATORs in den folgenden Protokollen:

NEUE GESCHÄFTSFELDER

Der eCUBATOR agiert wie ein internes Start-up von Knorr-Bremse.

"Knorr-Bremse ist Weltmarktführer für Bremssysteme und ein führender Anbieter weiterer Systeme für Nutzfahrzeuge. Unser Anspruch im eCUBATOR ist, diesen Status nicht nur zu verteidigen, sondern in den kommenden drei Jahren neue Geschäftsfelder, Partnerschaften und Allianzen rund um das Thema E-Mobilität zu erschließen. Dazu beobachten wir sehr aufmerksam die Märkte und sondieren, mit welchen Akteuren sich Partnerschaften anbieten oder ob Akquisitionen sinnvoll sind. Der eCUBATOR agiert wie ein internes Start-up von Knorr-Bremse und ist ein wichtiger Katalysator für innovative Arbeitsmethoden. Alles Gute und Nützliche, das hier entsteht, wird in den Mutterkonzern zurückfließen und ihn stärken."

Dirk Hochstein - Vice President E-Mobility

NEUES DENKEN

Wie der Lkw der Zukunft aussehen wird, dafür existiert kein Masterplan

"Die E-Mobilität und auch das automatisierte Fahren stellen bisherige Gewissheiten in Frage. Sie erzeugen Druck, machen Tempo. Wie der Lkw der Zukunft aussehen wird, dafür existiert kein Masterplan, kein Lastenheft. Dafür kursieren umso mehr Ideen, Szenarien und Trends. Dieser Unschärfe und Unsicherheit tragen wir im eCUBATOR Rechnung: Wir fangen klein an, setzen uns in den Projekten Nahziele, ziehen Bilanz und formulieren wieder neue Ziele. So arbeiten wir uns in Schleifen vorwärts. Im eCUBATOR erarbeiten wir uns die wahrscheinlichsten Szenarien künftiger Antriebstopologien von Nutzfahrzeugen und ergründen, was das zum Beispiel für ein Bremssystem oder die Pneumatik bedeutet. Teilweise bewegen wir uns damit auf einem völlig unbestellten Feld, wir können sehr frei und kreativ agieren, was ich fantastisch finde!"

Matthias Seidenschwang - Chief Product Owner E-Mobilität

MEHR KUNDENNÄHE

Der Anspruch im eCUBATOR ist es, konsequenter und kundennäher zu agieren

"Wir wollen mit den Herstellern von Nutzfahrzeugen beraten, welche Technologien sich künftig als innovativ, aber auch alltagstauglich erweisen werden. Dazu loten wir im engen Austausch mit den Kunden aus, wie die Luftbeschaffung, die Energieversorgung oder die Bremssteuerung in einem Lkw oder Bus von morgen aussehen könnte. Wie verändert sich die Achskonstruktion? Wie groß werden die Batterien sein? Was bedeutet das für den Bauraum und damit für die Integration unserer Systeme? Unser Anspruch im eCUBATOR ist es, konsequenter und kundennäher zu agieren und deutlich schneller Demonstratoren, am besten kleinserientaugliche Systeme, zu entwickeln. Dabei denken wir quer und bewusst cross-funktional über Silos und Abteilungen hinweg. Für unsere aktuellen Projekte heißt das: Die Priorität, mit der wir sie verfolgen, steht ständig auf dem Prüfstand. Ich liebe dieses Jonglieren und die Arbeit mit limitierten Ressourcen. Das macht uns innovativ und realistisch zugleich. Ganz wichtig ist der sehr enge Draht zu den Kolleginnen und Kollegen in Budapest und in der Kernorganisation. Wir arbeiten zwar eigenständig, aber ganz bewusst nicht autark."

Daniel Geis-Esser - Product Manager Customer Strategy E-Mobility

KONKRETE ZIELE VERFOLGEN

Wir beschäftigen uns mit Technologien und Lösungen, die unsere Welt zukünftig braucht

"Jemand beschrieb unsere Entwicklungsarbeit als Spielplatz für Ingenieure. Das trifft in dem Sinne zu, dass wir sehr frei agieren und an wirklich neuen Ideen arbeiten können. Für einen Ingenieur wie mich ist das ein Traumjob. Wir beschäftigen uns mit Technologien und Lösungen, die unsere Welt zukünftig braucht. Daraus entstehen Produkte, wie sie heute noch niemand kennt. Das ist eine ungeheure Motivation, aber auch Verantwortung. Auf dem sogenannten Spielplatz erfüllen wir eine sehr ernste Aufgabe, nämlich das Geschäft der Zukunft für Knorr-Bremse zu entwickeln. Wir wollen elektrische Fahrzeuge sicherer, komfortabler und effizienter machen. Zum Beispiel durch neue redundante Powermanagementsysteme oder neue Bremssteuerungssysteme, die die Nutzfahrzeuge während der Fahrt stabil auf der Straße halten. Ein weiteres Beispiel sind elektromechanische Bremsen für Elektrofahrzeuge. Der eCUBATOR in Budapest ist aber nicht nur eine Denkfabrik – wir haben auch eine eigene Werkstatt für erste Prototypen. Da geht es mitunter auch mal lebhaft zu – aber das mögen wir Ingenieure ja."

Gabor Fojtyik - Teamleiter eCUBATOR Budapest, Ungarn

NEUES ARBEITEN

Jedes Team ist anders, und genau das macht uns stark

"Ich unterstütze die Projektteams, damit sie agil, effizient und vor allem selbstorganisiert arbeiten. Ich beobachte und analysiere, wie die Teams arbeiten und wo sie stehen. Ich coache sie auch, diskutiere mit ihnen, was sie behindert und fördert, wie sie miteinander umgehen. Entscheidend ist, dass ich die Teams nicht kontrolliere oder überwache. Ich zwänge sie auch nicht in ein starres Korsett an Regeln. Genau das würde ja dem individuellen Charakter eines Teams und eines Sprints zuwiderlaufen. Es geht um Selbstermächtigung und Selbstverantwortung. Jedes Team ist anders, und genau das macht uns stark."

Andreas Anderson - Scrum Master

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