Ein Geschäftsmodell, das Sicherheitsrisiken in Kauf nimmt
Millionen Bremsbeläge, im Verkauf für 50 bis 60 Prozent des regulären Preises, null Entwicklungskosten, null Marketingkosten, das alles unter einem Markennamen, der in der Branche einen Ruf hat wie Donnerhall – ein äußerst lukratives Geschäftsmodell. Juristisch allerdings auf ganz dünnen, tönernen Füßen. Und die Produktqualität?
Um das prüfen zu können, musste man erst einmal an die gefälschten Bremsbeläge herankommen. Mattusch: „Um unseren Fall juristisch so wasserdicht wie möglich zu machen, wollten wir unter Beisein eines Notars eine Lieferung von gefälschten Belägen vor Ort persönlich in Empfang nehmen. Fotos der palettierten Ware konnten die von uns engagierten Ermittler machen. Doch kurz vor der Übergabe verschwanden die Teile vom Hof.“
Online war die Bestellung dagegen kein Problem. Über chinesische Strohmänner war das eine Sache von wenigen Tagen. Per Express ging die Charge nach München in die hauseigene Forschungs- und Entwicklungsabteilung. Nicht nur die Patentanwälte wollten wissen, was die angeblichen Marken-Beläge hergeben. Christian Hamann, Leiter der IP Abteilung von Knorr-Bremse: „Rein äußerlich glichen sich Original und Fälschung für unsere Augen wie ein Ei dem anderen.“ Am Ende des üblichen Testparcours war allerdings auch den Anwälten klar: technisch gesehen stammten Original und Fälschung quasi von unterschiedlichen Planeten ab. Hamann: „Wir können nicht sagen, welchen landesspezifischen Standards die Fremdprodukte entsprechen sollten. Europäischen entsprachen sie jedenfalls nicht und unseren eigenen hohen Standards sowieso nicht.“ Allein ein 14fach höherer Verschleißfaktor spricht Bände. Hamann: „Über die Qualität der Serie können wir nichts sagen. Dafür war die Charge, die wir überprüft haben, zu klein. Aber gemessen an unseren Testergebnissen ist nicht auszuschließen, dass solche Beläge in Extremsituationen einfach zerbröselt wären. Unverantwortlich.“
Ein Happyend, das nicht ganz ungetrübt ist
Mit mehr als 50 Einzelmaßnahmen ging Knorr-Bremse gegen die unlauteren Wettbewerber vor. Die wichtigsten beiden Elemente: Klagen wegen Marken- und Patentrechtsverletzung vor lokalen Gerichten. Inzwischen hat die zweite Instanz die Markenrechtsverletzung bestätigt. Alle entsprechend produzierten Produkte wurden zerstört, die Internetadressen gelöscht, die Einträge in den Handelsregistern getilgt. Die Entscheidung über die Patentverletzung steht noch aus. Trotzdem ist Hamann schon jetzt froh über das Ergebnis: „Unser größter Triumph ist, dass das oberste chinesische Gericht unseren Fall als einen von 50 Referenzfällen anerkannt hat. Diese Referenzfälle bilden die Basis für zukünftige Markenstreitverfahren in ganz China.“
Fast drei Jahre zieht sich die Sache inzwischen hin. Gelohnt, sagt Hamann, habe sich der Klageweg, daran wolle er keinerlei Zweifel lassen. Aus Copy Cats, die nicht wie hier in einer frühen Phase gestoppt werden, erwachsen oft ernstzunehmende Wettbewerber, die nicht mehr auf die Rufausbeutung bekannter Marken bzw. das Kopieren fremder Technologie angewiesen sind. Allerdings könne er jede Firma verstehen, die den enormen Aufwand scheut. Wen wundert’s, dass der Verband der Deutschen Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) in seiner jüngsten Studie zum Thema Produktpiraterie festgestellt hat, dass immer weniger Unternehmen sich diese Mühe machen.