Im Gespräch mit Bernd Spies: "Der Trend geht ganz klar hin zur Dekarbonisierung und Automatisierung."

Morgen findet die offizielle Eröffnung der IAA Transportation 2022 statt. Mit welchen Erwartungen Bernd Spies, Mitglied des Vorstands der Knorr-Bremse AG und verantwortlich für die Division Systeme für Nutzfahrzeuge, nach Hannover fährt und welche Antworten das Unternehmen auf die drängenden Mobilitätsfragen der Zukunft liefert, das hat er unserem Onlinemagazin exklusiv erzählt.

Seit März 2022 ist Bernd Spies Mitglied des Vorstands der Knorr-Bremse AG und verantwortlich für die Division Systeme für Nutzfahrzeuge.
Auf der IAA steht für ihn vor allem der persönliche Austausch im Vordergrund: "Es ist gut und sehr wichtig, dass wir endlich wieder zusammenkommen können."

Herr Spies, vor vier Jahren fand die letzte IAA Transportation statt. Nun kommt die internationale Nutzfahrzeugindustrie endlich wieder in Hannover zusammen. Welche Erwartungen haben Sie und worauf freuen Sie sich am meisten?

Meine Erwartung ist erst einmal, dass möglichst viele Fachbesucher – viele Ingenieure, Einkäufer und Entscheider – den Weg nach Hannover finden werden. Ich freue mich auf intensive Gespräche, viel Austausch und viel Feedback. Das ist gerade in einer Zeit, in der wir wichtige Entscheidungen mit Blick auf unser zukünftiges Produktportfolio treffen müssen, notwendig. Die Messewoche in Hannover bietet genau den richtigen Rahmen, um diesen Austausch mit vielen Stakeholdern vor Ort zu führen.

In den letzten zwei Jahren gab es sehr viele virtuelle Gespräche und darunter hat der Kundenkontakt aus meiner Sicht auch ein Stück weit gelitten. Denn der lebt vom persönlichen Austausch. Von daher ist es gut und sehr wichtig, dass wir endlich wieder zusammenkommen können.

Das Leitmesse findet in einer Zeit statt, in sich die gesamte Branche stark im Wandel befindet…

Ja, wir und mit uns die ganze Branche müssen im Moment viele Bälle gleichzeitig in der Luft halten. Es geht darum, jetzt die richtigen Investitionsentscheidungen mit Blick auf die richtigen Technologien zu treffen. So gibt es z.B. im Bereich der E-Mobilität viele wichtige Fragestellungen. Wird die Brennstoffzelle kommen? Wann kommen batteriebetriebene Lkw? Wie gut wird der Business Case dazu sein? Ab wann wird man auf Straßen vollautomatisiert fahren dürfen? Gleichzeitig wird auf unserem Kontinent ein Krieg geführt und unsere Branche ist mit der aktuellen Versorgungslage konfrontiert. Wir müssen weiterhin um jedes Bauteil kämpfen, das wir für unsere Kunden benötigen und sehen uns extrem gestiegenen Kosten gegenüber, die wir teilweise an die Kunden weitergeben werden. Diese Situation macht das Führen eines innovativen Industrieunternehmens, das weiterhin innovativ bleiben will, ziemlich herausfordernd. Wir konzentrieren uns auf jeden Fall voll und ganz auf unsere Kundenprojekte und wollen gleichzeitig – trotz der derzeitigen Schwierigkeiten – innovativ bleiben und die Kraft erhalten, um in neue Projekte zu investieren.

Wie lassen sich diese aktuellen Herausforderungen aus Ihrer Sicht meistern?

Ich würde mir – gerade in so schwierigen Zeiten wie jetzt – mehr Offenheit und intensiveren Austausch zwischen Kunden und Lieferanten wünschen und dass wir ein bisschen mehr das japanische Modell fahren. Das hieße konkret, dass Lieferanten bereits sehr früh eingebunden werden, sehr früh nach ihren Meinungen und Fähigkeiten gefragt werden und dass es dementsprechend auch sehr früh Commitments zu Projekten gibt. Beide Seiten können so noch besser an einem Strang ziehen und begrenzte Entwicklungsgelder zielgerichtet einsetzen.

Mit Blick auf den Austausch an unserem Messestand freuen wir uns über jeden Fahrer, mit dem wir uns in Hannover über seine spezifischen Belange und Bedürfnisse austauschen können.

Bernd Spies – Mitglied des Vorstands

Welche Leitthemen und Trends werden die Gespräche auf der IAA Transportation maßgeblich prägen und wie positioniert sich unser Unternehmen?

Da ist allen voran die Verkehrssicherheit zu nennen. Dieser Bereich ist tief in unserer Geschichte und DNA verwurzelt und hier sind wir zuhause. Wir sind mit unseren innovativen Sicherheitstechnologien bestens positioniert und gehen die nächsten Schritte in Richtung der Vision „Zero Accidents“. Und dann natürlich auch die E-Mobilität, die einen grundlegenden Wandel der Architektur sowie vieler Produkte von Nutzfahrzeugen mit sich bringt. Der Industrietrend wird Veränderungen in unserem bestehenden Portfolio bewirken, da sich hier die technischen Rahmenbedingungen ändern. Darum kümmert sich unsere im Jahr 2020 gegründete Innovationseinheit, der eCUBATOR. Bereits heute entwickeln wir viele neue Produkte, die den Anforderungen von elektrischen Nutzfahrzeugen gerecht werden und ihren Beitrag zur Mission „Zero Emission“ leisten. Die E-Mobilität treibt solche Veränderungen voran, wenngleich sie natürlich nur mit der entsprechenden Infrastruktur funktioniert. Hier wird entscheidend sein, dass die Herausforderung nicht alleine von den Herstellern und Industrieunternehmen gestemmt wird, auch staatliche Unterstützung muss dabei eine entscheidende Rolle einnehmen.

Wie sind die weiteren Trends in der Nutzfahrzeugindustrie aus Ihrer Sicht zu bewerten?

Das Thema Automatisiertes Fahren entwickelt sich regional unterschiedlich. Aufgrund der Emissionsgesetzgebung in Europa ist dieser Trend etwas hinter die E-Mobilitätsentwicklung gerückt. Gerade in Nordamerika ist der Trend zum automatisierten Fahren aber ungebrochen, weil es einen nachhaltigen Business Case hat. Eine wichtige Rolle kommt auch den Fahrerassistenzsystemen zu, die den Fahrern das Leben erleichtern und für mehr Sicherheit im Straßenverkehr sorgen. Wir haben hier auch Systeme als Nachrüstlösung im Portfolio, wie unseren nachrüstbaren Abbiegeassistenten ProFleet Assist+ Gen 2 zum Schutz vulnerabler Verkehrsteilnehmer. Gleichzeitig arbeiten wir an weiteren Erleichterungen für die Fahrer, zu denen unter anderem die elektronische Parkbremse zählt und natürlich an einer Vielzahl an Lösungen, die die Flotten unterstützen. Mit Blick auf den Austausch an unserem Messestand freuen wir uns über jeden Fahrer, mit dem wir uns in Hannover über seine spezifischen Belange und Bedürfnisse austauschen können.

Rendering des Knorr-Bremse Messestands auf der IAA Transportation 2022Rendering des Knorr-Bremse Messestands auf der IAA Transportation 2022
Nachhaltige Produktinnovationen und verlässliche Systemlösungen mit klarem Fokus auf Automatisierung und Elektrifizierung von Nutzfahrzeugen: Das wird Knorr-Bremse den Fachbesuchern auf der IAA TRANSPORTATION in Hannover unter dem Slogan "Driven to create the best solutions" präsentieren.

Weiterer zentraler Treiber ist die Digitalisierung. Hier spielt die Konnektivität eine wichtige Rolle, sie hilft uns, den Zustand eines Trucks draußen auf der Straße zu überwachen und frühzeitig herauszufinden, ob mit dem Truck alles in Ordnung ist oder man vielleicht doch in eine Werkstatt fahren sollte. Unser Ziel ist immer, die Verfügbarkeit von Fahrzeugflotten der Kunden weiter zu steigern. Denn Trucks sollten nicht in der Werkstatt stehen oder irgendwo am Straßenrand, sondern sicher auf der Straße unterwegs sein.

Welche Highlights an unserem Stand auf der IAA Transportation sollten die Besucher auf keinen Fall verpassen?

Verpassen sollte man auf keinen Fall unser Lenkungsportfolio. Heute fährt fast jeder Truck noch mit einer hydraulisch unterstützten Lenkung, aber in den nächsten Jahren wird hier viel passieren. Wir werden dann eine elektronisch unterstützte, sogenannte Überlagerungslenkung haben, bis hin zur vollelektrischen Lenkung. Und in diesem stufenweisen Ausbau können auch noch beliebige Funktionen dazu kommen, wie zum Beispiel eine Seitenwind-Kompensation, damit der Fahrer nicht ständig gegen den Seitenwind kämpfen muss, sondern auf eine elektronische Unterstützung zählen kann.

Unser Ziel ist immer, die Verfügbarkeit von Fahrzeugflotten der Kunden weiter zu steigern. Denn Trucks sollten nicht in der Werkstatt stehen oder irgendwo am Straßenrand, sondern sicher auf der Straße unterwegs sein.

Bernd Spies – Mitglied des Vorstands

Auch unsere neuen Scheibenbremsen sind einen Besuch wert. Da gibt es ein sehr interessantes Feature, das sogenannte Active Caliper Release. Das sorgt für weniger Verschleiß und bis zu einem Prozent Kraftstoffeinsparungen – es zahlt sich für unsere Kunden direkt aus und bietet damit einen echten Mehrwert. Auch ein Blick auf unsere Fahrerassistenzfunktionen wird sich lohnen. Hier haben wir viele interessante Systeme im Portfolio, die einen wichtigen Beitrag zu mehr Verkehrssicherheit leisten.

Unser Nachmarkt-Portfolio mit unserem Remanufacturing-Angebot sollte man sich auch anschauen. In diesem Bereich arbeiten wir z.B. Bremskomponenten auf, die anschließend neumontiert und wiederverwendet werden können. Das spart wertvolle Rohstoffe und Energie – ganz im Sinne der Kreislaufwirtschaft.

Letzte Frage: Welche Entwicklungen sehen Sie mit Blick in die Zukunft auf der Straße?

Der Trend geht ganz klar hin zur Dekarbonisierung und Automatisierung von Nutzfahrzeugen. Ich erwarte zu Ersterem, dass wir zukünftig einen Mix aus unterschiedlichen Antriebstechniken im Nutzfahrzeug sehen werden und dabei natürlich ein nennenswerter Anteil der Nutzfahrzeuge elektrifiziert sein wird. In Sachen Automatisierung erwarte ich zukünftig erste Strecken und erste Trucks, die auf Autobahnen oder in einem Hub-to-Hub-Bereich autonom fahren können. Zunächst werden sie vermutlich nicht komplett ohne Fahrer auskommen, aber der Fahrer wird nebenher andere Tätigkeiten ausführen können.

Lieber Herr Spies, vielen Dank für das Gespräch.

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