Heinz Hermann Thiele. Er war ein außergewöhnlicher Mensch, ein Visionär mit Leidenschaft und einzigartigem Unternehmergeist.
Seine Zielstrebigkeit und sein Durchsetzungsvermögen sind Legende, ebenso sein unbedingter Wille zum Erfolg und die absolute Hingabe an seine Aufgabe. Heinz Hermann Thiele scheute keine Herausforderung und Mühe, wenn es darum ging, Knorr-Bremse mit einer klaren Strategie auf Erfolgskurs zu bringen. Damit hat er die Unternehmenskultur geprägt, auch für die Zukunft.
Vor einem Jahr, am 23. Februar 2021, ist Heinz Hermann Thiele verstorben – diese Nachricht traf alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit, ob in der Produktion, in den Büros oder in der Vorstandsetage und auch all seine anderen Wegbegleiter gleichermaßen. Es war, als stünde die Knorr-Bremse Welt für einen Moment lang still.
Heinz Hermann Thiele hat sein ganzes Leben in den Dienst von Knorr-Bremse und vielfältiger weiterer unternehmerischer Tätigkeiten gestellt. Disziplin, Fairness, Leistungsbereitschaft und Verantwortungsbewusstsein bezeichnete er als seine wichtigsten Prinzipien. Er hat mit seinem einzigartigen Unternehmergeist weltweit Menschen inspiriert und geprägt: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Kunden, Geschäftspartner und viele andere Menschen aus Gesellschaft und Politik. Zudem unterstützte Heinz Hermann Thiele zahlreiche soziale, kulturelle und wissenschaftliche Projekte auf der ganzen Welt. Mit ihm ist eine der führenden Unternehmerpersönlichkeiten Deutschlands aus dem Leben geschieden. Sein einzigartiges und außergewöhnliches Lebenswerk bleibt.
Heinz Hermann Thiele war eine der großen Unternehmerpersönlichkeiten in Deutschland und hat Knorr-Bremse über viele Jahrzehnte aufgebaut und entwickelt. Er hatte einen untrüglichen Instinkt für Chancen, die er entschlossen ergriff. Mit seinem unternehmerischen Gespür und seiner Willenskraft machte er aus einem kleinen Mittelständler einen internationalen Konzern, dessen Systemen heute täglich Millionen Menschen auf Schiene und Straße weltweit vertrauen.
Aber es ist nicht nur das Unternehmen, das bleibt, sondern auch die Unternehmenskultur: sich nicht mit der zweitbesten Lösung zufriedengeben, mit aller Kraft nach Exzellenz und der Marktführerschaft streben, permanent wach bleiben und Innovationen vorantreiben. Diese Lebenseinstellung, die heute auch viele Knorr-Bremse Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verinnerlicht haben, zeigt sich besonders an einigen Wendepunkten im Leben von Heinz Hermann Thiele.
Früher Durchhaltewille
Geboren am 2. April 1941, gehört die Flucht aus dem im Zweiten Weltkrieg zerstörten Berlin nach Westdeutschland, die er als Vierjähriger mit seiner Mutter und seinen Geschwistern mitmacht, zu seinen prägenden Erlebnissen. „Damals habe ich gelernt, in harten Zeiten zu überleben.“ Die Zeiten bleiben schwierig, der Besitz der Familie in Berlin ist verloren, das Geld knapp. Aber Heinz Hermann Thiele zeigt sich schon früh als Kämpfernatur. Ein erstes großes Ziel für seinen Ehrgeiz findet er im Turnverein. Er schafft den 100-Meter-Sprint schließlich in 10,8 Sekunden.
1969, mit 28 Jahren, steigt er bei Knorr-Bremse ein – als Sachbearbeiter in der Patentabteilung. Die Liebe zur Technik liegt ihm im Blut. Drei Jahre später ist er Leiter des Bereichs Recht und Patente, 1975 verantwortet er den Bereich Nutzfahrzeugbremsen, ab 1979 den gesamten Vertrieb. 1984 wird er Vorstandsvorsitzender der Knorr-Bremse AG.
Riesenchance, großes Risiko
Dann, 1985, steht er plötzlich vor der Chance seines Lebens. Der damalige Eigentümer, Jens von Bandemer, bittet Thiele, den er inzwischen als Gesamtverantwortlichen für alle Geschäfte eingesetzt hat, Knorr-Bremse für ihn zu verkaufen. Thiele reizt der Gedanke, selbst ein Kaufangebot zu machen, zumal es keine Interessenten gibt. Auf den ersten Blick schien das absurd, wie er selbst einmal erzählt hat. „Ich hatte nichts außer einem nicht abbezahlten Haus.“
Heinz Hermann Thiele vertraut auf seine Entschlossenheit und sein Geschick. Damit überzeugt er auch die Deutsche Bank und ihren Vorstandssprecher Alfred Herrhausen, ihm die nötigen Kredite einzuräumen. Über die Knorr-Bremse Kommanditgesellschaft erwarb er ab 1985 sukzessive die Gesellschaftsanteile. Ein waghalsiger Schritt. Viele in der Branche glaubten, Knorr-Bremse sei nicht mehr zu sanieren. „Hier stimmte gar nichts“, bestätigt Thiele. 1985 realisierte Knorr-Bremse mit 3.500 Mitarbeitenden 254 Mio. Euro Umsatz, davon 180 Mio. mit Bremsen. Heute hat das Unternehmen weltweit fast 30.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei rund 6 Mrd. Euro Umsatz.
Vertrauen auf das eigene Urteilsvermögen, auf sich selbst
Heinz Hermann Thiele stellte sich mit großem Selbstbewusstsein der Mammutaufgabe, das Unternehmen zu sanieren. Das Risiko zu scheitern war hoch, aber er sah eher die Chance, die darin lag, nun sämtliche Entscheidungen als Eigentümer und Vorstandsvorsitzender selbst zu treffen. Das Wichtigste, was er dafür brauchte, war eine klare Strategie. Eine Beratungsfirma kam zu dem Ergebnis, Bremsen hätten wenig Zukunft, Knorr-Bremse solle sich besser auf Industriepneumatik verlegen. Thiele, der durch seine guten Kontakte zu Kunden ein Gespür fürs Geschäft entwickelt hatte, entschied anders. Bremstechnik für Schiene und Straße sollte die Kernaktivität seiner Firma sein. Alle anderen Aktivitäten verkaufte er nach und nach. Auch seine Mannschaft strukturierte er um. Führungspersönlichkeiten mit der meisten Sachkenntnis sollten rasche und mutige Managemententscheidungen treffen – die allerdings den kritischen Diskussionen mit Thiele standhalten mussten.
Mit ihm zu streiten war möglich, aber alles andere als einfach. Seine Erwartungen waren sehr hoch. „Vielleicht bin ich zu hart gegenüber meinen Leuten“, gab er selbst einmal zu. Aber sich selbst verlangte er ebenfalls stets das Maximum ab, er arbeitete eigentlich immer. Enge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konnten ein Lied davon singen, wenn der Chef spätabends oder sonntags mit neuen Aufgaben oder Ideen anrief.
Ein langer und anstrengender, aber erfolgreicher Weg
Jahrzehntelang kümmerte er sich persönlich um die Internationalisierung der Unternehmensgruppe und war pausenlos unterwegs, um Kunden zu gewinnen und Standorte zu entwickeln. „Es war ein Kampf, der mich und auch meine Leute unglaublich gefordert hat. Ich hatte mir das leichter vorgestellt.“ Dabei eignete er sich ein unglaublich großes Branchenwissen an – neben all der technischen Kompetenz mit dem so wichtigen Verständnis für die unterschiedlichen Kunden- und Marktanforderungen und auch kulturellen Gepflogenheiten in den verschiedenen Regionen weltweit.
Trotz der Anstrengungen wirkten die großen Aufgaben und Herausforderungen auf viele Mitstreitende motivierend. „Der Spirit war einfach fantastisch“, erinnert sich der ehemalige Rail-Vorstand Dr. Dieter Wilhelm. „Alle Vorstände, die nicht auf Dienstreise waren, trafen sich täglich um 12.30 h zum Mittagessen, das war Gesetz. Am Tisch saß der Vorstandsvorsitzende und Shareholder in einer Person; so konnten wir Themen in einer unglaublichen Geschwindigkeit abarbeiten. Heinz Hermann Thiele hat uns dabei zwar stark gefordert, gleichzeitig aber auch sehr gefördert.“
Wachstum dank vieler richtiger Entscheidungen
Nach Jahren der Restrukturierung fing Knorr-Bremse an, stark zu wachsen. Heinz Hermann Thieles unternehmerische Entscheidung, China früh als Markt zu erschließen und mit viel Geduld und Fingerspitzengefühl Vertrauen bei zukünftigen Geschäftspartnern aufzubauen, trug Früchte. Langjährige Partnerschaften bestehen bis heute. Neben dem organischen Wachstum trieb er auch stets das anorganische Wachstum durch Unternehmenszukäufe an. Wichtige Meilensteine auf diesem Weg waren der Erwerb von New York Air Brake für den nordamerikanischen Schienenverkehr 1991 und Bendix für den nordamerikanischen Nutzfahrzeugmarkt 2002.
Ein Schlaglicht auf die Entschlusskraft von Thiele wirft auch die Gründung der ersten ostdeutschen Aktiengesellschaft im Januar 1990, als die DDR rechtlich noch bestand – ein ziemliches Risiko. Knorr-Bremse war 1905 in Berlin gegründet worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Teilung der Stadt lag das Knorr-Bremse Gelände im Osten und wurde zum VEB Berliner Bremsenwerk (BBW). Unmittelbar nach der Wende im November 1989 sah Thiele die Möglichkeiten, griff schnell zu und schaffte Fakten. Die anschließende aufwendige Restaurierung des alten Verwaltungsgebäudes als Repräsentanz war Heinz Hermann Thiele ein persönliches Anliegen.
Der Börsengang
„Das Wohl des Unternehmens war und ist mir immer wichtiger als persönliche und familiäre Interessen“, sagt Heinz Hermann Thiele am 12. Oktober 2018, dem Tag des Börsengangs. Es sei nun an der Zeit, die Eigenständigkeit des Unternehmens zu sichern – mit neuen Investoren, die ein Interesse an einer langfristigen Anlage haben und in die Zukunft des Unternehmens investieren. Damals stellte Thiele die Weichen für eine Zukunft des Unternehmens auch nach seiner Zeit: „Die Gesellschaft muss unabhängiger von mir werden, und ich habe ein Interesse daran, dass auch andere Investoren dazu beitragen, das Unternehmen auf Kurs zu halten.“ Schon die ersten Aktienkäufe der Anleger zeigten, wie groß das Interesse am Unternehmen Knorr-Bremse ist, an dem bis heute die Familie Thiele die Mehrheit hält. „Ich habe diese Firma über 40 Jahre maßgeblich geprägt und einen hohen Preis für die Hingabe an das Ziel bezahlt, aus einem kleinen Familienunternehmen einen internationalen Konzern zu formen. Die Firma ist jetzt sehr stark, sehr erfolgreich und wird ihren Weg auch in der neuen Konstellation gehen“, verabschiedete sich Heinz Hermann Thiele seinerzeit vom Börsenparkett.
Thieles letztes großes Thema: die Digitalisierung des Unternehmens
Obwohl er Tradition, Erfahrung und die langjährige Firmenhistorie hochhielt, war Thiele immer vorwärtsgewandt, immer auf der Suche nach neuer Technologie, nach neuen Wegen für das Wachstum. So legte er großen Wert auf Forschung und Entwicklung, was sich auch im Bau des großen Entwicklungszentrums am Standort München zeigte, mit dem er gleichzeitig sein Bekenntnis zu Deutschland und zum Technologiestandort Bayern unter Beweis stellte. Auch war ihm klar, wie wichtig das Thema Digitalisierung in Zukunft für das Unternehmen sein würde. Daher ist es sicher kein Zufall, dass mit Jan Mrosik Anfang 2021 ein ausgewiesener Digitalisierungsexperte als Vorstandsvorsitzender an Bord gekommen ist.
Das gesamte Vorstandsteam hat sich dazu verpflichtet, das Vermächtnis von Heinz Hermann Thiele hochzuhalten und das Unternehmen in seinem Geiste weiterzuführen. Auch viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tun dies Tag für Tag und packen mit viel Leidenschaft und Herzblut die Aufgaben an, die die Zukunft für Knorr-Bremse bereithält – so wie es Heinz Hermann Thiele auch jeden Tag vorgelebt hat: „Ich bin Unternehmer und werde bis zum letzten Atemzug unternehmerisch tätig sein.“
Ich bin Unternehmer und werde bis zum letzten Atemzug unternehmerisch tätig sein.
Heinz Hermann Thiele – ehemaliger Mehrheitsaktionär, langjähriger Vorstandsvorsitzender und Aufsichtsratsvorsitzender der Knorr-Bremse AG, verstorben am 23.02.2021