Was sind die kritischsten Faktoren?
Als einer der kritischsten und spektakulärsten Faktoren ist sicherlich die Vibration zu sehen. Bei Fahrten über Bahngleise, Schlaglöcher oder Betonnähte haben wir Kräfte vom 25- bis 30-fachen der Erdbeschleunigung gemessen. Zum Vergleich: Die „schlimmsten“ Achterbahnen bringen es auf das 4- bis 4,5-fache. Mehr wäre für Achterbahnfahrer schon lebensgefährlich. Für die Bremse bedeuten diese Kräfte Stress. Vor allem beweglich gelagerte Teile wie die Beläge, der komplexe Verschleißnachsteller und das Führungssystem des Sattels werden hier gefordert. Neben der Vibration zeigt sich auch die Korrosion und ihr Einfluss auf die einwandfreie Funktionalität aller Komponenten der Bremse immer wieder als sehr herausfordernder Faktor.
Was ist mit den glühenden Bremsscheiben?
Dass sich die Scheiben nach einer intensiven Bergabfahrt auf über 900°C aufheizen, ist für sich genommen wenig dramatisch. Allerdings verändern sich bei hohen Temperaturen etwa Eigenschaften wie Reibwert und Verschleißverhalten der Bremsbeläge und die Komponenten der Bremse dehnen sich dabei merklich aus. All dies muss in der Auslegung und Konstruktion der Radbremse und ihrer Komponenten berücksichtigt werden. Kühlt die Bremse im ungünstigsten Fall nach einer längeren Bergabfahrt bei stehendem Fahrzeug ab und die Komponenten ziehen sich dabei wieder zusammen, muss die Funktionalität der Bremse selbstverständlich auch dann noch gegeben sein. Deshalb testen wir auch solche Fälle, etwa indem wir das Fahrzeug „heiß“ und voll beladen auf einem 18-prozentigen Gefälle abstellen, abkühlen lassen und es dann wegziehen, um so die Resthaltekraft bestimmen.
Verringern vereiste Scheiben die Bremskraft umso mehr?
Bei einem System, dass Bewegungsenergie in Wärme umwandelt und Zuspannkräfte von über 20 Tonnen aufbaut, ist Eis nicht das vorrangigste Problem. Beim ersten Bremsvorgang bleibt davon nicht viel übrig. Bei sehr tiefen Temperaturen kommen allerdings Effekte zum Tragen, die die Agilität der Bremse beeinflussen können. Zäher werdende Schmierstoffe lassen die Bremse träger werden, was die Dynamik der Bremse im ABS-Regelfall nicht zu stark einschränken darf. Unsere Tieftemperaturtests im Labor sowie in Arjeplog, Schweden, zeigen allerdings, dass wir diesen Effekt im Griff haben.
Was sind aus Ihrer Sicht die schlimmsten Umgebungsbedingungen für ein Bremssystem?
Herausfordernder als spektakuläre Umgebungsbedingungen allein ist meist die Paarung mit einem ungünstigen Einsatzprofil. Beispielweise haben wir Milchsammelfahrzeuge in unseren Feldtestapplikationen, die durch ihr Einsatzprofil, die hohe Fahrzeugbeladung und natürlich auch wegen der ungünstigen Streckenprofile den Bremsen sehr viel abverlangen. Mehrschichtbetrieb, sieben Tage die Woche, sehr viele Bremsbetätigungen, mitunter schwer beladen – das alles kann zu hohen Dauerbetriebstemperaturen von ca. 400 Grad Celsius führen; und das alles auf teils nur landwirtschaftlich befahrenen Straßen. Zusammengenommen kann das die Standzeiten der Reibpaarung erheblich verringern und dazu führen, dass ein Fahrzeugleben quasi im Schnelldurchgang absolviert wird.