„Wir brauchten an einer Linie höhere Kapazität“, sagt Alexander Gerauer, technischer Leiter Unit Mechatronik. „Die beste Lösung dafür war ein kollaborative Roboter. Damit lassen wir den Roboter eine Arbeit machen, die für Menschen ergonomisch nicht ideal ist."

Werk Aldersbach. Die Fabrik der Zukunft.

Egal ob kooperative Roboter oder 3D-Drucker: Innovative Technologien beschleunigen bei der Produktion von Scheibenbremsen für Lkws die Prozesse, vermeiden Fehler und machen das Werk Aldersbach zur Blaupause für die Fabrik der Zukunft.

Für Franz-Josef Birkeneder ist Industrie 4.0 nichts Neues. „Effizienz war und ist für uns das Entscheidende. Die Digitalisierung macht uns im Alltag schneller und reaktiver. Sie hilft uns, Handlingstufen und damit Fehlerquellen entfallen zu lassen.“ Um das Vorzeigewerk Aldersbach, dessen wichtigstes Produkt Scheibenbremsen für Lkws sind, an der Spitze zu halten, setzt Werkleiter Birkeneder schon seit Jahren auf Vernetzung und reibungslose Kommunikation der Maschinen. „Bei uns rufen die fünf Montagebänder selbst das Material ab, das sie brauchen. Da gibt es keinen Menschen und kein Papier mehr dazwischen. So können wir ohne große Reibungsverluste jedes Band achtmal arbeitstäglich auf ein anderes Produkt umrüsten.“

Prozesskette von der Anforderung bis zum Produkt

Seit mittlerweile vier Jahren funktioniert das System, das Birkeneder gern mit einer Perlenschnur vergleicht. Inzwischen reicht die Prozesskette von der automatischen Anforderung von Leergut über jeden Produktionsschritt bis hin zum Aufladen der fertigen Produkte auf die Lkws – die ebenfalls nach digitalem Fahrplan auf den Hof kommen. Patrick Härter, Leiter Knorr Excellence, der sich strategisch um das Thema Digitalisierung bei Knorr-Bremse kümmert, sieht Aldersbach als gutes Beispiel: „Wir sind, was die neuen Technologien angeht, hervorragend aufgestellt.“

Kollaborativer Roboter als ideale Lösung

Das aktuellste Beispiel für den Einsatz neuester Technologie ist ein großer Roboter, der seit ein paar Monaten Hand in Hand mit Menschen zusammenarbeitet. „Wir brauchten an einer Linie höhere Kapazität“, sagt Alexander Gerauer, technischer Leiter Unit Mechatronik. „Die beste Lösung dafür war dieser kollaborative Roboter.“ Am Ende des Bandes, das die elektronische Luftaufbereitung EAC2 für einen großen Lkw-Hersteller fertigt, greift sein mächtiger Arm das rund 12 Kilo schwere Produkt. Dann hält er es dem Mitarbeiter hin, der ein Typenschild aufklebt, und legt es vorsichtig in die Transportbox. „Damit lassen wir den Roboter eine Arbeit machen, die für Menschen ergonomisch nicht ideal ist. Natürlich hätten wir auch einen normalen Industrieroboter nehmen können“, sagt Gerauer. „Davon arbeiten schon über 50 im Werk.“ Aber die Interaktion einzurichten hätte mehr Zeitaufwand bedeutet und vor allem viel mehr Platz durch die Einhausung verbraucht. Und Platz ist im Werk Aldersbach ein kostbares Gut.

Birkeneder Franz-Josef
Die Digitalisierung macht uns im Alltag schneller und reaktiver.

Franz-Josef Birkeneder – Werkleiter Aldersbach und 1. stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats der Knorr-Bremse AG

Perfekte Einpassung in den Arbeitsablauf

Durch Benchmarkanalysen, genaue Recherche und Umhören bei anderen Firmen hat Gerauer dann das passende Gerät aufgetan, für das es bisher allerdings nur eine Musterbau-Anwendung gab. „Kollaborative Roboter haben eine Sensorik, die die Kraftaufnahme in jeder Sekunde misst“, erläutert Gerauer. „Falls eine Berührung mit einem Mitarbeiter droht, stoppt er sofort.“ Aus Sicherheitsgründen fahre der Roboter vergleichsweise langsam. „Aber wir haben die Taktzeiten so angepasst, dass er perfekt in unseren Arbeitsablauf passt.“

Prototypen aus dem 3D-Drucker

„Ich schaue gern mal über den Tellerrand“, sagt Kaspar Obermaier, Teamleiter Versuch, Befundung und Prototypenbau. Als er Ende 2016 Werkleiter Birkeneder die Vorteile von 3-D-Druckern erläutert, ist der sofort Feuer und Flamme. Drei Geräte werden angeschafft. „Unsere zwei FDM-Drucker bauen schichtweise geschmolzenen Kunststoff auf, die Ergebnisse sind stabil und kostengünstig. Der Polyjet-Drucker benutzt dagegen Kunstharz, das mit UV-Licht ausgehärtet wird – hier sind die Oberflächen glatter.“ Je nach Anwendung hat das eine oder andere Verfahren Vorteile. „Wir lernen immer noch dazu.“

Die Drucker stellen innerhalb weniger Stunden Prototypen-Bauteile wie Schalldämpfer, Adapter, Drehzahlfühler, Spulenträger, Heizungsdeckel oder Teile für ein Magnetventil her. Auch Muster für Kunden, die so die Form des späteren Produkts in Händen halten und testen können, spuckt der 3-D-Drucker konkurrenzlos schnell aus. Selbst Klonen (Reverse Engineering) ist kein Problem, was besonders bei alten Ersatzteilen ziemlich praktisch sein kann.

Tempo dank Rapid Tooling

Besonders stolz ist Obermaier auf eine kleine Spule. „Dieser Drehzahlfühler ist etwas ganz Besonderes.“ Ingenieure vom Entwicklungsstandort Schwieberdingen, die Systeme für das hochautomatisierte Fahren im schwedischen Arjeplog in Schnee und Eis testen, brauchten für ihre Lkws Drehzahlfühler mit zwei Spulen. Das Serienprodukt hat aber nur eine Spule. „Wir hatten deshalb mit unserem Standardverfahren viel Ausschuss.“

Die Lösung: Obermaier und sein Team bauten mithilfe des Druckers einen neuen Kunststoffaufbau mit kleinen Extra-Kanälen, die die nur 0,06 mm dünnen Drahtenden besser schützen. „So haben wir die Qualitätsrate ordentlich erhöht.“ In Zukunft sollen die 3-D-Drucker noch mehr Zeit sparen. „Mit Rapid Tooling könnte man schnell und ohne Zulieferer seine eigene vorläufige Spritzform drucken, sie in eine Kunststoffspritzmaschine einsetzen und damit für Tests einige Kleinserienteile herstellen. Das wird die Entwicklung weiter beschleunigen.“ Dennoch, sagt Obermaier, an eine echte Serienfertigung mit 3-D-Druckern sei noch nicht zu denken – sie sind viel zu langsam. „Aber die Entwicklung schreitet schnell voran.“



Echtzeit-Analyse: Beim Shopfloor-Meeting trifft sich Unit-Leiter Harald Ebner (2. v. l.) mit Kollegen aus Produktion, Logistik, Qualität und Instandhaltung, hier mit (v. l.) Andreas Bumberger, Thomas Einhellig und Jürgen Zweckberger.

Ein kleines Display am Band erzeugt Fehlermeldungen sofort im SAP-System, ohne dass der Mitarbeiter manuell eine Störmeldung anlegen muss.

Stark, aber vorsichtig: Der neue kollaborative Roboter arbeitet hier direkt mit Anlagenführer EAC 2 Robert Zehentner zusammen. Gleich wird der Roboter das schwere Gerät in eine tiefe Gitterbox legen – ein Job, der für Menschen deutlich anstrengender ist.



Ausgereiftes Shopfloor-Management

Zweimal pro Arbeitstag trifft sich in Aldersbach ein Team aus Produktion, Logistik, Qualität, Instandhaltung und Management an einem großen Bildschirm. „Jedes Problem der letzten Stunden ist hier in Echtzeit visualisiert“, sagt Harald Ebner, Leiter Unit Scheibenbremse. „Unsere Montagebänder haben 18 Stationen. Wenn etwa am Montageband 3 an Station 1 immer wieder ein Problem auftaucht, prüfen wir, ob sich das bei den anderen Bändern auch zeigt. Wenn ja, ist es wahrscheinlich durch die Qualität des Bauteils verursacht, das auf der Linie 3 montiert wird. Wenn nein, hat das Band ein spezifisches, technisches Problem, vielleicht einen defekten Sensor.“ Diese Erstanalyse spart viel von dem, was am wichtigsten ist: Zeit. Dafür wertet der Montageleitrechner, „die Mutter aller Dinge“, die riesige Datenmenge, die bei der Prozessüberwachung anfällt, statistisch aus. „2011 haben wir angefangen, unser Shopfloor-Management zu entwickeln“, sagt Ebner. „Es hat einige Jahre gedauert, den Reifegrad zu entwickeln.“

Echzeit-Informationen im Fokus

Das System organisiert alles, was mit der Produktion zusammenhängt: Logistik, Instandhaltung, Industrial Engineering, Qualität und Einkauf. „Viele Workshops haben gezeigt, dass das Wichtigste ist, immer über die aktuelle Situation zu reden. So kommen Führungskräfte und Mitarbeiter gemeinsam sehr effektiv zu einer Lösung.“ Aber woher kommen die Echtzeit-Informationen? „Wir haben schon vor zehn Jahren begonnen, die Schnittstellen für die Maschinendaten zu standardisieren“, erläutert Ebner. „Sämtliche Analysewerkzeuge funktionieren fast schon Plug-and-play.“ So konnte, trotz zunehmender Komplexität und Automatisierung, die Produktivität weiter gesteigert werden.

Overall Equipment Efficiency als Kennzahl

„Wir stellen die Leistung der Mitarbeiter nie infrage, sondern committen uns gemeinsam zu bestimmten Kennzahlen.“ Ganz vorne steht dabei die OEE, die Overall Equipment Efficiency, ein Produkt aus Leistung, Qualität und technischer Verfügbarkeit. „Auf dieser Kennzahl baut auch der Akkord-Bonus der Mitarbeiter auf.“ So ist die Motivation hoch, Störungen sofort auf einem kleinen Display zu melden und gegebenenfalls Unterstützung einzufordern. „Bei unseren Shopfloor-Meetings wechselt außerdem die Moderatorenrolle“, sagt Ebner. „Das hat stark zum gegenseitigen Verständnis beigetragen.“

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