
SYNACT und NEXTT: intelligente Scheibenbremsen für zukünftige Generationen.
Mit SYNACT und NEXTT haben junge Projektleiter gemeinsam mit ihren Teams die neue Generation von zwei Scheibenbremsen als globale Plattformen entscheidend vorangetrieben.

Michael Peschel sitzt in einem internen Workshop in Hallbergmoos nahe München mit Scheibenbremsenexperten aus allen Fachbereichen und Regionen. Das Thema: Anforderungen an eine zukünftige Scheibenbremse. Die aktuellen Modelle für schwere Lkw und Busse – SB7 und SN7 – definieren gerade den Stand der Technik. Vier Teams legen eine Fülle von Konzepten auf den Tisch. Peschel ist damals zuständig für die so genannte Dimensionierung, d. h. das Festlegen der grundsätzlichen Abmessungen der Bremse während der Auslegung. „Es ging nicht einfach um Modellpflege. Wir haben die Systeme von Grund auf neu durchdacht.“ Die wichtigsten Ziele für die Neuentwicklung: Mit souveränen 30 kNm soll die neue Bremse zupacken können und selbst extrem lange Bergabfahrten robust meistern. Gleichzeitig soll ihr Gewicht reduziert und ihre Lebensdauer deutlich erhöht werden. Zudem steht eine einfachere Wartung auf der Wunschliste. „Wir wollten einen Baukasten, um auf der Basis einzelner Module die Lkw- und Bus-Varianten weiter zu vereinheitlichen“, sagt Dimitrij Habermann, der mittlerweile von Peschel übernommen hat.
Die neuen Megatrends als Herausforderung für Scheibenbremsen
Neben großer Anpassungsfähigkeit sollten neue Scheibenbremsen auch den Megatrends Rechnung tragen. Ein verringertes Gewicht hilft, durch geringeren Verbrauch CO2 zu sparen. Ein kleinerer Bremssattel sollte die Endmontage vereinfachen, die komplette Innenmechanik in einem einzigen Modul Platz finden,“ sagt Jan Philipp Regul, Gesamtprojektleiter SYNACT. „Die Innenmechanik ist sozusagen die Intelligenz der Bremse. In einem einzigen Modul industriell gefertigt, können wir sie zentral produzieren und so Qualität für die globale Produktion viel leichter sicherstellen.“
Neue Scheibenbremsen für das autonome Fahren
Apropos Intelligenz: Die neuen Scheibenbremsgenerationen sind bereits für das autonome Fahren vorbereitet. Mit zusätzlicher Sensierung wie dem Brake Condition Monitoring (BCM) ist auch vorausschauende und zustandsbasierte Wartung möglich. Eine weitere Besonderheit ist das Active Caliper Release (ACR). Lässt der Fahrer das Bremspedal los, drückt das ACR die Bremsbeläge aktiv von der Scheibe weg und verringert das sogenannte Restschleifmoment. „Zusätzlich zum verringerten Gewicht ist so rund ein weiteres Prozent Spriteinsparung möglich“, sagt Regul. Auch der Nachsteller wird neu entwickelt, um eine längere Lebensdauer und Robustheit für höhere Marktanforderungen zu realisieren. Der mechanische Nachsteller gleicht automatisch den Verschleiß der Bremsbeläge aus und sorgt dafür, dass die Beläge immer in etwa gleich nah an der Scheibe stehen.
130 Einzelteile im Zusammenspiel
130 einzelne Teile kommen so zusammen, die im Gesamtprojekt SYNACT neu konstruiert, überarbeitet, geprüft und schließlich freigegeben werden müssen. Zwölf davon verantwortet Andreas Haidukiewitz. Er ist für die City-Bus-Variante der SYNACT zuständig. „Bei SYNACT ging es nicht nur um die Entwicklung von neuer Technik. Wir mussten plötzlich eine Unmenge neuer Teile durch unsere Prozesse schleusen. Das stellte uns in allen Bereichen vor große Herausforderungen“, sagt Haidukiewitz. Dennoch sei es für die Projektleiter und das Team eine starke Unterstützung gewesen, dass sie sich an der klar definierten, automotive-orientierten Knorr-Bremse-Prozessstruktur „Product Development and Commerzialization (PDC)“ entlanghangeln konnten.

Scheibenbremse NEXTT als globales Produkt
Die zweite neue Scheibenbremse verfolgt einen anderen Ansatz, wie Gesamtprojektleiter Markus Bartel erläutert. „Wir haben nicht nur in technischer Hinsicht Neuland betreten, sondern auch bei der Realisierung – die NEXTT ist ein globales Produkt.“ Insgesamt sieben Standorte in Europa und den USA waren an der Entwicklung beteiligt. Die Bremse eignet sich für leichte und mittelschwere Lkw-Anwendungen in Nordamerika sowie für Trailer. In Europa zielt die NEXTT ausschließlich auf den Trailermarkt. Sie führt damit die unterschiedlichen Systemplattformen von Bendix und Knorr-Bremse zusammen. Mit den Vorgängermodellen ST7 und ADB 22X/ LT hatten beide Regionen noch weitgehend eigene Produkte entwickelt.

NEXTT: geringeres Gewicht, geringere Kosten
Das Besondere an der NEXTT erklärt der technische Projektleiter Andreas Petschke: „Oberhalb eines Bremsmoments von 19 kNm brauchen Sie eine Bremse herkömmlicher Konstruktion mit zwei Stempeln, wie es bei der SYNACT umgesetzt ist.“ Das Bremsmoment der NEXTT reiche aber gerade bis zu dieser Grenze. Der Vorteil: „Die völlig neue Konstruktion der NEXTT mit nur einem Stempel senkt Gewicht und Kosten.“ Bis es so weit war, mussten aber erst einmal die Anforderungen definiert werden. „Die Entwicklung dieses gemeinschaftlichen Produkts war der größte Meilenstein“, sagt Bartel. „Aber wir hatten über die Standorte in Deutschland, Ungarn, Indien und den USA einen wirklich tollen globalen Spirit mit großem Zusammenhalt.“
Lokale Anpassungen leichter dank NEXTT-Baukasten
Die NEXTT wird im Rahmen einer globalen Produktionsstrategie an den Standorten Bowling Green, USA, und Aldersbach, Deutschland, hergestellt. „Auf Basis unseres NEXTT-Baukastens sind die lokalen Anpassungen für die jeweiligen Märkte sehr einfach geworden“, sagt Andreas Petschke. Mit den Kollegen von SYNACT habe es einen regelmäßigen Austausch der Lessons Learned gegeben, also in puncto Arbeitsmethodik und Prozesse.
Gelungene Projektarbeit im SYNACT- und NEXTT-Team
Klare und offene Kommunikation innerhalb des Teams waren das Fundament beider Projekte, ebenso der regelmäßige Austausch mit Kunden, um deren Wünsche zu treffen und zu übertreffen. Haidukiewitz, Regul und Habermann riefen das SYNACT-Kernteam einmal wöchentlich zum Projekttag zusammen, der im Wechsel in München und in Aldersbach stattfand. „Den Projektfortschritt konnten wir durch definierte Projektphasen nach PDC jederzeit klar aufzeigen und so die notwendigen Entscheidungen schnell und zielgerichtet treffen“, sagt Regul. Auch Bartel und Petschke trafen sich regelmäßig mit den Mitgliedern des NEXTT-Kernteams in den USA und hielten laufend Kontakt. „Im Rahmen der Global Governance haben wir unsere Entscheidungen mit allen Daten und Fakten laufend miteinander abgestimmt.“ Beide Teams seien mit der großen Verantwortung der beiden Riesenprojekte gewachsen und für zukünftige Herausforderungen hervorragend aufgestellt.