Ewig jung: Der Oberleitungsbus als umweltgerechte Nahverkehrslösung.

Die Zukunft des öffentlichen Nahverkehrs ist elektrisch – und war es schon einmal. Der Oberleitungs- oder Trolleybus mit Stromabnehmern für die Oberleitung bietet etliche Vorteile für die Ökobilanz moderner Städte.

Sie heißen „Strippenexpress“ oder „Stangentaxi“: Oberleitungsbusse (kurz: Obus), die ihre Heimatstädte prägen. Der „Express“ ist als Deutschlands ältester Trolleybus seit 1940 in Eberswalde unterwegs, das „Taxi“ seit 1952 in Solingen on tour. Auch gegenwärtig überzeugt der Obus Städte und Gemeinden immer wieder aufs Neue: Wüstentaugliche, futuristisch aussehende Trolleys nahmen 2011 auf dem Campus King Saud University in Riad die Personenbeförderung auf. Malatya in der Türkei hat 2014 ein neues Obus-System für Doppelgelenkbusse eingeführt, da es erheblich kostengünstiger ist als ein Straßenbahnsystem mit vergleichbarer Beförderungskapazität (>200 Passagiere pro Fahrzeug). Zwischen Rimini und Riccione wird 2019 eine neue Expresslinie Rapid Coast Transport (TRC) eingeführt. Und ab 2021 soll es dank dem IMC-Ladekonzept oberleitungsfrei durch die Innenstadt in Verona gehen. Die wesentlichen Gründe für die Entscheidung, in diesen Gemeinden den Ausbau des Obus-Systems voranzutreiben: ein leiser, zuverlässiger, emissionsfreier Nahverkehr mit niedrigen Betriebskosten bei einer langen Lebensdauer der Obusse. Das sollte insgesamt die Stadtkassen entlasten, obwohl für die Installation der Oberleitungsinfrastruktur zuweilen zusätzliche Mittel nötig sind.

Gut für die Ökobilanz

Für viele Kommunen spielt ein weiteres Argument für den Obus eine wichtige Rolle. Elektrisch angetriebene Fahrzeuge senken die wichtigsten, derzeit heiß diskutierten Emissionen wie Stickoxide oder CO2 auf Null. Die bekannteste Herausforderung für Batteriebusse ist dabei der Energiespeicher. Im Vergleich zum Dieselkraftstoff bringt eine aktuelle Batterie eine rund 100-fach größere Masse mit. In der Praxis bedeutet das: Das E-Fahrzeug kann entweder deutlich weniger Menschen transportieren oder hat eine deutlich geringere Reichweite als das Dieselfahrzeug. Ähnlich groß ist die Herausforderung beim „Nachtanken“ der elektrischen Energie. Im Vergleich: Eine Minute Diesel tanken entspricht beim Batteriebus etwa 100 Minuten laden!

Oberleitungsbusse bieten an genau diesen Punkten entscheidende Vorteile. Sie helfen, den Einsatz von E-Bussen in Städten zu optimieren.

Einer der ersten Obusse in Solingen. Modelle wie diese gehören der Vergangenheit an. Das System selbst hat sich bis heute durchgesetzt. © Knorr-Bremse
Knorr-Bremse bewegt sich ebenso souverän in der Welt von extrem robusten und effizienten Mechaniken wie in der von flexiblen Ladekonzepten für Elektrofahrzeuge.

Peter Dr. Radina – Mitglied der Geschäftsführung der Knorr-Bremse Systeme für Schienenfahrzeuge GmbH

Trolleybusse – laden unterwegs

Batterie- und Ladekonzepte für E-Busse gibt es viele. Von Fahrzeugen, die ihr Streckenpensum mit einer einzigen Batterieladung absolvieren und über Nacht geladen werden, über die Flash-Ladung an Haltestellen bis hin zur Aufladung an den Endpunkten der Einsatzstrecken reicht das Spektrum. Allen gemeinsam ist, dass die Fahrzeuge beim Laden nicht fahren, sondern stehen.

Anders Oberleitungs- oder Trolleybusse: Sie werden während der Fahrt mit Strom versorgt. Eine besonders flexible Variante ist die Kombination aus Oberleitung und Batterie. Das bietet das Ladekonzept In Motion Charging (IMC®) von Knorr-Bremse. Hier versorgt die Oberleitung das Fahrzeug während des Fahrens mit Strom und lädt gleichzeitig die Batterien auf. Auf oberleitungsfreien Strecken fährt der Bus dann mit Batteriestrom. Vorteile: Die Batterie kann kleiner ausfallen als beim reinen Über-Nacht-Lader, Standzeiten für das Aufladen können komplett entfallen.

Bei der neuesten IMC-Variante – IMC500 – kann der Bus bei der Fahrt bis zu 500 kW Leistung aufnehmen. Dadurch ist es möglich, beim Fahren unter der Oberleitung alle Teilsysteme gleichzeitig zu versorgen: zwei 160 kW Motoren (= 320 kW), Heizungs-/Klimaanlage und Batterie. Dabei gilt: Je höher die Ladeleistung ist, desto weniger Zeit benötigt das Fahrzeug unter der Oberleitung und desto weniger Oberleitung muss installiert werden. Konkret: IMC500 benötigt nur eine minimale Oberleitungsstrecke von rund 20 % der Gesamtstrecke. Damit lassen sich die Infrastrukturkosten weiter minimieren.

Beim IMC-Konzept von Kiepe Electric können große Stadtgebiete oberleitungsfrei bleiben. Die Obusse fahren mit der Energie aus der Batterie, die in Gebieten mit Oberleitung (hellblau) aufgeladen wird. Nach diesem Konzept wird das neue IMC-System in Verona realisiert. © Knorr-Bremse
Obus im Überlandverkehr: Der große Vorteil des neuen In-Motion-Charging-Konzepts – IMC500 – von Knorr-Bremse: Die Obusse benötigen nur auf 20 Prozent der Gesamtstrecke Oberleitungen. Den Rest fahren sie mit Batteriestrom ohne Extrahalt fürs Aufladen. © Knorr-Bremse

Projekt Linz – vom Obus zum Doppelgelenk-Elektrobus

In Linz fahren Obusse seit 1944. Die neueste Errungenschaft: ein IMC500 Doppelgelenk-Trolleybus mit 24 Metern Länge und Platz für 180 Fahrgäste. So ist der neueste Trolley eine kostengünstige Alternative zur Straßenbahn. Seine Reichweite im Batteriebetrieb beträgt bis zu sieben Kilometer. Dabei war in Österreich die Länge von Gelenkbussen bis 2015 auf knapp 19 Metern beschränkt. Ende 2015 gab die Linz AG bekannt, dass sie die Genehmigung für die Obusse im XXL-Format erhalten hat. Der erste Doppelgelenkobus ist seit Ende November 2017 im Einsatz. Nach der Inbetriebnahme weiterer Obusse soll 2019 die Erneuerung der Flotte abgeschlossen sein. Dann werden 20 E-Busse das Linzer Stadtbild prägen.

24-Meter Doppelgelenkbus in Linz. Er bietet Platz für 180 Fahrgäste. Der neueste Trolley ist damit eine kostengünstige Alternative zur Straßenbahn. © Knorr-Bremse

Trolley trotz Kontaktschuh

Trolleybusse haben ihren Namen von den ehemals vierrädrigen Kontaktwagen mit Rollen. Sie liefen auf den beiden Oberleitungsdrähten, lieferten über eine Verbindungsleitung den Strom für den Elektroantrieb und wurden so hinter dem Motorfahrzeug hinterhergezogen. Dieses von Werner Siemens entwickelte Prinzip kam erstmals 1882 – Jahre vor dem kraftstoffbetriebenen Bus – zur Anwendung. Die Kontaktwagen neigten jedoch zum Entgleisen. Auch das Befahren von Abzweigungen war problematisch. Schließlich wurden die Schleppwagen von Stromabnehmern mit Schleifschuhen ersetzt. Der Name für den Oberleitungsbus aber blieb. Mit „In Motion Charging“ hat Kiepe Electric für den bewährten Trolley eine zeitgemäße Bezeichnung der modernen Technologie etabliert. Die Abkürzung IMC® wurde von Kiepe Electric geschützt und wird mittlerweile weltweit von Russland bis China über USA und Europa verwendet.

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