Hoffnungsträger für die Schiene.

Die Digitale Automatische Kupplung (DAK): Von ihr werden wahre Wunderdinge erwartet. Sie soll den Schienengüterverkehr in Europa revolutionieren. Damit macht sich die Bahn auf den Weg in das Zeitalter der Digitalisierung.

Es gibt gute Gründe dafür, warum die Branche so euphorisch auf die Digitale Automatische Kupplung (DAK) reagiert. Einer ist vielleicht wenig schmeichelhaft: Denn über 100 Jahre gab es bei dem Kuppeln der Waggons keinerlei Fortschritte. Bei jedem Waggon muss der gut 20 Kilogramm schwere Haken immer noch manuell auf die Öse gehievt werden, um die Anhänger miteinander zu verknüpfen: Schwerstarbeit für die Rangierer und eine Technik aus dem Kaiserreich.

Hinzu kommt eine manuelle Bremsprobe. Dazu muss der Lokführer den gesamten Zug – bis zu 750 Meter – ablaufen. Bevor der Zug losfährt, kostet das allein knapp eine Stunde. Mangelnde Zeiteffizienz ist ein weiterer Nachteil der immer noch praktizierten Methodik. Damit soll demnächst Schluss sein. Wenn der Übergang von der Schraubenkupplung zur DAK geschafft ist, scheint der Schienengüterverkehr endlich im 21. Jahrhundert angekommen zu sein.

Wobei man vorsichtig sein muss: Noch ist es nicht so weit. Europaweit sind 450.000 Güterwagen umzurüsten – einige sprechen auch von 500.000. Dazu kommen 17.000 bis 20.000 Loks. Macht also in Summe über eine Millionen Kupplungen, die produziert und vor allem auch montiert werden müssen.

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Der Beitrag erschien erstmals in der Oktober-Ausgabe 2023 der Deutschen Verkehrs-Zeitung (DVZ); Autor: Michael Cordes, Redakteur Schienengüterverkehr.

So wird seit über 100 Jahren gekuppelt: Der Rangierer hebt den schweren Haken in die Öse und schraubt dann die Waggons aneinander. | © Deutsche Bahn AG / Volker Emersleben

Im Wettbewerb mit dem Lkw

Die DAK ist aber mehr als nur eine verbesserte Kupplung. Die digitale Komponente des Systems darf nicht außer Acht gelassen werden, denn sie ermöglicht zahlreiche neue Anwendungen. „Will der Schienengüterverkehr wettbewerbsfähig werden und bleiben gegenüber anderen Transportmitteln wie dem Lkw, dann benötigen wir Innovationen“, sagt Nicolas Lange, seit 1. Oktober neuer Vorstand für die Division Systeme für Schienenfahrzeuge bei Knorr-Bremse.

Zumal die Politik ehrgeizige Vorgaben ausgerufen hat: Bis 2030 soll der Modal Split der Schiene im Güterverkehr 25 Prozent betragen. Derzeit liegt der Anteil bei unter 20 Prozent. Mit den bisherigen manuellen Prozessen scheinen die Ziele nicht erreichbar. Diese Steigerung bedeutet nämlich ein deutliches Plus beim Aufkommen. Hinzu kommt: Die Bahnen finden kaum noch Menschen, die diese schwere Arbeit machen wollen. Wenn also mehr Güter auf die grüne Schiene gebracht werden sollen, müssten die Abläufe automatisiert, digitalisiert und harmonisiert werden, so der Knorr-Bremse-Manager.

Knorr-Bremse ist einer der Hersteller der DAK. Bislang gibt es im Markt nur Piloten, die derzeit getestet werden. Doch Lange ist sich sicher: „Wir werden diese Technologie rechtzeitig in den Markt bringen, wenn die Bahnen die DAK benötigen.“ Er geht davon aus, dass ab 2026 sein Unternehmen die Kupplungen liefern können wird. Den viel größeren Engpass verortet er bei der Finanzierung. Experten schätzen die Kosten auf 10 bis 12 Milliarden Euro. Noch ist völlig unklar, wie dieses Geld zusammenkommt.

Die Kosten dürften neben der Migration einer der beiden Flaschenhälse sein: Vor allem mit dem Einzelwagenverkehr machen die Bahnen hohe Verluste – ein Hauptgrund, warum die Branche nicht in der Lage sein dürfte, diese Summen alleine zu stemmen. Lange sieht hier die Notwendigkeit erheblicher Investitionen. Einen Modal Split von 25 Prozent könne man nur realisieren, wenn Innovationen wie die DAK im Schienengüterverkehr öffentlich finanziert und flächendeckend durchgesetzt werden. Der hohe Modal-Split-Anteil wird verfolgt, um die CO2-Emissionen im Güterverkehr zu vermindern. Wenn die Politik dieses selbst gesteckte, gesamtwirtschaftliche Ziel erreichen wolle, müsse sie laut Lange auch die dafür notwendigen Rahmenbedingungen schaffen.

Deutschland könnte bei dem Vorhaben eine Schlüsselrolle zukommen – auch aufgrund der zentralen Lage in Europa. Neben nationalen Regierungen ist laut Lange allerdings auch die EU gefordert, da die meisten Verkehre grenzüberschreitende Transporte seien – und daher die Umrüstung in ganz Europa erfolgen müsse. Doch nicht in allen Staaten der EU steht man der DAK aufgeschlossen gegenüber. Eine mögliche Lösung aus Sicht des Managers: Zunächst könnten sich die für den Einzelwagenverkehr wichtigen Staaten in Europa – Deutschland, Frankreich, Österreich, Italien, mitunter noch Polen und die Schweiz– auf eine Umsetzung einigen. Zusammen könnten sie bei der EU verstärkt auf eine Finanzierung zum Teil aus EU-Mitteln drängen. Laut Lange ein wichtiger Schritt zur Schaffung nötiger Finanzierungs- und damit Planungssicherheit für die Branche.

Sitzendes Porträt von Dr. Nicolas Lange, Vorstandsmitglied der Knorr-Bremse AG und verantwortlich für die Division Systeme für Schienenfahrzeuge.Sitzendes Porträt von Dr. Nicolas Lange, Vorstandsmitglied der Knorr-Bremse AG und verantwortlich für die Division Systeme für Schienenfahrzeuge.
Dr. Nicolas Lange, Vorstandsmitglied der Knorr-Bremse AG mit weltweiter Verantwortung für die Division Systeme für Schienenfahrzeuge | © Knorr-Bremse
Das ist die Zukunft: eine Digitale Automatische Kupplung, bei der kein Rangierer mehr schwere Gewichte heben muss. Hier eine DAK von Knorr-Bremse bei Tests in Schweden. | © Rail Sweden at Lindholmen Science Park

Umrüstung muss gut geplant werden

Eine Herausforderung sieht er im engen Zeitrahmen für die Migration der DAK. Die Umstellung muss schnell funktionieren, weil sonst die Wagen mit alter Kupplung nicht kompatibel mit den Wagen der neuen Kupplung sind. Doch man gehe die entscheidenden Schritte, um die Entwicklung voranzutreiben und später die Produktion und Migration marktreifer Kupplungssysteme gut vorzubereiten.

Für Knorr-Bremse erhofft er sich nicht nur ein Wachstum aus dem Verkauf der DAK. Zum einen gibt es nach der Umrüstung ein After-Sales-Geschäft mit Wartung und Reparatur von DAKs. Zum anderen eröffne die DAK den Bahnen, der Branche und Knorr-Bremse zahlreiche weitere Möglichkeiten, etwa im Bereich digitaler Services. „Mit der DAK treiben wir die Digitalisierung und Automatisierung im Schienengüterverkehr weiter voran“, so der Manager. Nicht nur, dass man die Bremsproben automatisieren kann. Dann seien beispielsweise auch Daten- und Telematik-Lösungen denkbar. Das Tracking und Tracing wird einfacher und die Versorgung der Wagen mit Strom ermöglicht weitere Anwendungen wie den Transport gekühlter Ware. Die DAK sei die Grundlage für den digitalen, intelligenten Güterzug. „Insofern öffnet die DAK viele Türen und ist in der Tat ein Riesenschritt für den Schienengüterverkehr.“

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