Digital Twin: Das neue multiphysikalische Modell kann alle Eigenschaften eines Dämpfers in einer virtuellen Simulationsumgebung abbilden. Basierend auf einer präzisen Analyse der Kundenanforderung, ermöglicht die Simulation eine optimale Auslegung des passenden Dämpfers.

Erfolgsgarant Entwicklungsexpertise: Hasse & Wrede setzt auf Zukunftsindustrien

Hasse & Wrede ist Technologie- und Weltmarktführer im Bereich der Viskositätsdrehschwingungsdämpfer (Viskodämpfer). Diese reduzieren Schwingungen an Kurbelwellen von Verbrennungsmotoren verschiedenster Ausprägung und sorgen so für deren sicheren und dauerhaften Betrieb. Der Anteil an Verbrennungsmotoren in Nutzfahrzeug-Antrieben wird infolge der kommenden Elektrifizierung perspektivisch schrumpfen. Deshalb hat Hasse & Wrede schon heute eine klare Zukunftsstrategie. Welche Rolle darin Zwillinge, die Stadt Pisa und Windräder spielen? Geschäftsführer Markus Mali berichtet hierzu aus der Entwicklungsabteilung, von Kundengesprächen und zeigt Visionen auf.

Markus Mali, Geschäftsführer der Hasse & Wrede GmbH in Berlin

Markus Mali

Markus Mali, Geschäftsführer der Hasse & Wrede, tauchte bereits als Maschinenbaustudent Anfang des Jahrtausends in die Welt der Drehschwingungsdämpfer ein. Damals war er zwei Jahre lang Werksstudent bei Hasse & Wrede und schrieb im Unternehmen seine Diplomarbeit. Nach gesammelter Berufserfahrung bei anderen Unternehmen kehrte er 2007 als Entwicklungsleiter zu Hasse & Wrede zurück und übernahm 2016 die Verantwortung für das globale Dämpfergeschäft. Seit 2020 ist er dort Geschäftsführer, der das Unternehmen auf die Zukunft ausrichtet. Die Zusammenarbeit mit Hochschulen aus aller Welt und die kontinuierliche Beschäftigung vieler Studenten bei H&W ist Herrn Mali nach wie vor sehr wichtig.

Wie ist das Produkt- und Kundenportfolio von Hasse & Wrede gegenwärtig aufgestellt?

Markus Mali: Etwa die Hälfte unseres Geschäfts machen Dämpfer für sogenannte On-Highway-Anwendungen aus, d. h. für Motoren von Nutzfahrzeugen wie Lkw und Busse und zu einem geringen Anteil auch Pkw. Die zweite Hälfte unseres Geschäfts bilden Dämpfer im Off-Highway- und Industriebereich. Dieser umfasst unterschiedlichste, von Verbrennungsmotoren angetriebene Anwendungen, die nicht auf der Straße fahren – beispielsweise in der Landwirtschaft, im Baubereich, auf dem Wasser oder auch im Bereich der Stromerzeugung.

Warum richtet ein erfolgreiches Unternehmen sein Portfolio neu aus?

Das Marktsegment Drehschwingungsdämpfer im On-Highway-Bereich ist weitgehend gesättigt und wird mit zunehmender E-Mobilität schrumpfen. Elektrische Antriebe werden mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Viskodämpfer benötigen. Deshalb haben wir eine Zukunftsstrategie aufgesetzt und verabschiedet, neue innovative Produkte entwickelt und forcieren nun stark unser Off-Highway-Geschäft. Dieses bietet uns generell und ganz besonders bei großen Anwendungen noch deutliches Wachstumspotenzial. Darunter fallen unter anderem große Kolbenverdichter, Windanlagen, Generatoranlagen und diverse Marineanwendungen. Unsere jüngst entwickelten Produkte sind prädestiniert für das Off-Highway-Geschäft. Dieses wird uns ermöglichen, unsere Marktanteile in diesem Sektor stark auszubauen und die rückläufige On-Highway-Entwicklung mehr als auszugleichen. Wir erwarten mittel- und langfristig trotz der Auswirkungen der E-Mobilität ein deutliches Umsatzwachstum für unser globales Geschäft.

Was sind Drehschwingungsdämpfer?

Drehschwingungsdämpfer werden benötigt, um die durch Torsionsschwingungen verursachten Spannungen in Antriebssträngen von Motoren und Kompressoren auf ein ungefährliches Maß zu reduzieren. Die Dämpfer verhindern Kurbelwellenbrüche oder andere Schädigungen des Antriebsstrangs und sorgen so für einen sicheren, leisen und dauerhaften Betrieb der Anlage. Bisher vor allem bei klassischen Verbrennungsmotoren eingesetzt, sollen die Dämpfer künftig vermehrt bei Motoren mit alternativen Kraftstoffen, in Großkompressoren und Großanlagen wie Windrädern zum Einsatz kommen.

V-DEX+: Der neue High-Performance-Dämpfer im Inhouse-Test. Er erweitert das Produktportfolio von Hasse & Wrede.

Sie scheinen sehr zuversichtlich, dass die Strategie aufgehen wird?

Ein wichtiger Erfolgsgarant ist unsere Entwicklungsexpertise. Unser Hauptfokus in der Produktentwicklung lautet „First Time Right“. Wir sind also in der Lage, den Kunden bereits mit dem ersten Prototypen ein voll funktionsfähiges Produkt zur Verfügung zu stellen. Ein weiteres Differenzierungsmerkmal ist unsere „Time-to-Market“ – wir sind sehr schnell in der Entwicklung, serienreifen Umsetzung und Validierung einer Lösung. In Verbindung mit einem hohen Kostenbewusstsein und unserem globalen Produktions- und Entwicklungs-Footprint haben wir ideale Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung unserer Zukunftsstrategie.

Ist jedes Produkt individuell? Wie lässt sich dann effizient entwickeln?

Tatsächlich gibt es keine Modularität im Sinne der Mehrfachverwendung eines Dämpfers zwischen verschiedenen Kunden und Anwendungen. Jeder Kunde hat eigene Bauraumvorgaben, eigene Anbaumaße und eigene Anforderungen. Haupttreiber der Individualisierung sind aber vor allem die sehr spezifischen Schwingungseigenschaften der unterschiedlichen Motoranwendungen. Deshalb nutzen wir die vom Kunden bereitgestellten technischen Spezifikationen, um die Komponenten im Vorfeld auf den Punkt auszulegen. Das gelingt uns mit unserem Simulationsmodell, dem Digital Twin. Er ist ein absolutes Alleinstellungsmerkmal.

Können Sie den Digital Twin näher erläutern?

Der Digital Twin mit seinen heutigen Fähigkeiten ist das Ergebnis jahrzehntelanger Forschungs- und Entwicklungsarbeit. Es handelt sich hierbei um ein multiphysikalisches Modell, welches alle Eigenschaften des Dämpfers in einer leistungsfähigen virtuellen Simulationsumgebung abbildet. Mit diesem Werkzeug können wir die Anforderungen und Erwartungen unserer Kunden in sehr hohem Maße erfüllen. Die Simulation erlaubt uns, das System, bestehend aus Dämpfer und Kundenanwendung, präzise zu analysieren und den passenden Dämpfer dafür optimal auszulegen. Neben der reinen Dämpferfunktion berücksichtigen wir während der Entwicklung auch die Anforderungen an die Produktlebensdauer. Wichtigste Aspekte sind dabei der Verschleiß des Silikonöls und der Lagerkomponenten, aber auch die Strukturfestigkeit der Metallkomponenten und der Schweißverbindungen.

Und Ihr Entwicklungsteam setzt diesen Digital Twin international ein?

Ja, wir setzen das Modell für alle Dämpferanwendungen ein, die uns im globalen On- und Off-Highway-Bereich bekannt sind. Das machen wir mit einem relativ kleinen hochspezialisierten Team. Die Forschung und Vorentwicklung finden in Berlin statt. Serienentwicklungen werden von globalen Teams durchgeführt. Mit den Innovationen bedienen wir Kunden im gesamten Weltmarkt.

Gebündelte Expertise: Das Technology & Innovation Team von Hasse & Wrede entwickelt neue Dämpfungslösungen für den Off-Highway-Markt.

Wie erreicht das kleine Entwicklungsteam seine hohe Innovationskraft?

Wir kooperieren themen- bzw. problembezogen mit Industriepartnern und technischen Universitäten, von Aachen bis Athen könnte man sagen. Wir pflegen diese Bindungen und arbeiten ganz gezielt mit Partnern in kleinen interdisziplinären Projekten. Das kann die gemeinsame Entwicklung neuer Berechnungsmodelle oder Simulationsmethoden, aber auch das gegenwärtige Produktportfolio betreffen. Themen sind hier z. B. der Bauteilverschleiß, unsere Silikonöle oder auch die Entwicklung neuer Komponenten wie spezielle Elastomerdichtungen.

Können Sie solch ein Entwicklungsprojekt skizzieren?

Ein jüngeres Beispiel ist eine Torsionsfeder, deren Struktur wir in enger Kooperation mit einer Universität in Pisa entwickelt haben. Eine solche Feder besitzt eine hochoptimierte Struktur, die auf Langlebigkeit, Modularität und maximale Bauraumnutzung ausgelegt ist. Dieses Torsionsfederelement verleiht dem Dämpfersystem zusätzliche Steifigkeit und gibt uns die Möglichkeit, spezielle Dämpfertypen noch präziser abzustimmen und damit die Leistungsfähigkeit zu steigern.

Diese Partnerschaften zahlen auch auf Ihre Strategie ein?

Ja, hier schließt sich ein Stück weit der Kreis zur Strategie. Denn mit höherem Diversifikationsgrad der Anwendungen steigen die Kunden- und Marktanforderungen an unsere Dämpfer, was uns wiederum neue technologische Innovationen abverlangt. Diesen hohen Innovationsgrad können wir nur in Zusammenarbeit mit hochspezialisierten Partnern beibehalten. Sie helfen uns, in vielen Bereichen permanent besser zu werden und Antworten auf technische Anforderungen zu finden. Ich denke hierbei an Themen wie Leistung, Verbrauch, Downsizing, Gewichtsoptimierung, Bauraumnutzung oder Variantenvielfalt.

Impressionen aus der Hasse & Wrede Produktion

Hasse & Wrede setzt mit intelligenten Industrierobotern auf Automation in der Produktion.

Ein Mitarbeiter im Einsatz an der Lüfterscheibenschweißanalage. Hasse & Wrede legt großen Wert darauf, seine Fachkräfte kontinuierlich weiterzuentwickeln.

Die Produktionshalle bei Hasse & Wrede steht unter Denkmalschutz. Schon damals wurde mit einer klugen Dachkonstruktion darauf geachtet, dass möglichst viel Tageslicht in die Produktionshalle gelangt.

Höchste Qualität: Erfahrene, langjährige Mitarbeitende achten bei der Herstellung der Dämpfer auf größte Sorgfalt.

„Robi“, der Spezialist für Dämpferhandling: Während des Produktionsprozesses bestückt ein hochmoderner Sechs-Achsen-Roboter die Anlagen mit den Dämpfern.

Bei der Herstellung großer Dämpfer setzt Hasse & Wrede unter anderem auf die Unterpulver-Schweißtechnik.

Unterpulver-Schweißtechnologie: Bei Anwendung der bewährten Technik des Unterpulverschweißens entsteht eine bunt schimmernde „Regenbogennaht“.

Fließt Ihre Innovationskraft auch noch in das Nutzfahrzeuggeschäft?

Zur Erreichung der Klimaziele muss der CO2-Ausstoß reduziert werden. Infolgedessen wird der Markt für Verbrennungsmotoren im Lkw-Segment schrumpfen. Fundierte Branchenstudien prognostizieren, dass der Anteil elektrifizierter Lkw bis 2035 bereits auf über 30% steigen wird. Zugleich werden aber die verbleibenden Dieselantriebe weiter hinsichtlich Verbrauch und Leistung optimiert und teilweise für alternative Kraftstoffe wie Wasserstoff ertüchtigt. Ferner werden Dieselmotoren in Märkten wie Lateinamerika, Südostasien und Indien noch wesentlich länger eine relevante Rolle spielen. Hier besteht also noch jede Menge Entwicklungs- und Innovationsbedarf bei unseren Nutzfahrzeugkunden, den wir auf jeden Fall decken werden.

Und welche Off-Highway-Anwendungen haben Sie im Visier?

Wir stellen uns hier gerade sehr breitbandig auf. Zum einen schauen wir auf die klassischen großen Diesel- und Gasmotorenanwendungen in den Bereichen Stromerzeugung, Bau- und Agrarmaschinen, Schienentransport und Marine. Viele namhafte Hersteller in diesen Industriesegmenten zählen bereits zu unseren langjährigen Kunden. Diese Beziehungen wollen und werden wir weiter ausbauen und parallel dazu neue Großmotorenhersteller für uns gewinnen. Getrieben durch das globale Streben nach CO2-Neutralität eröffnen sich für uns aber auch völlig neue Marktsegmente, in denen wir in der Vergangenheit noch nicht vertreten waren. Da wären z.B. industrielle Kolbenkompressoranlagen, die zum Verdichten und zum Transport von Gasen wie Wasserstoff benötigt werden. Wir haben bereits erste Dämpferlösungen für einen großen amerikanischen Kompressorenhersteller ausgeliefert. Diese Anlagen haben enorme Ausmaße, der benötigte Dämpfer hat einen Durchmesser von 1,30 Meter! Und dann wären da auch die Windkraftanlagen, die aufgrund ihrer Fähigkeit, CO2-neutrale Energie zu erzeugen, massiv an Bedeutung gewonnen haben. Insbesondere im Bereich der höchsten Leistungsklassen von Windrädern gibt es einen Bedarf an Drehschwingungsdämpfern zur Reduzierung von Geräuschen, die auf der Generatorwelle entstehen. Diesen Markt analysieren und evaluieren wir derzeit, um Kunden optimal bedienen zu können.

Die Anwendung moderner Messtechnik ermöglicht es Hasse & Wrede, Fertigungstoleranzen der Dämpfer hochpräzise zu erfassen. Auch sehr große Dämpfer können mit der neuen Anlage vollautomatisiert geprüft werden.

Wird Ihre Expertise in den neuen Märkten anerkannt?

Unsere Referenzen sind überzeugend und wir können den Kundenbedarfen in unseren Zukunftsmärkten entsprechen. Hinter jedem Drehschwingungsproblem verbergen sich ähnliche physikalische Grundlagen und unsere Kompetenz ist die Beherrschung dieser Physik und die daraus resultierende Reduzierung von Drehschwingungen. Das funktioniert bei einem Windrad prinzipiell genauso wie bei einem Verbrennungsmotor. Im Großmotorenbereich haben wir uns bereits in vielen Projekten bewährt, was im Windenergiesegment beispielsweise noch nachzuholen ist. Ich bin sehr zuversichtlich, dass uns dies schnell gelingen wird.

Ihr Portfolio ist also auf die Zukunft vorbereitet?

Ja, absolut! Wir verfolgen realistische Wachstumspläne mit soliden Business Cases. Wir besitzen die Expertise für komplexe Anwendungen, um die Unternehmen in unseren Zukunftsmärkten mit passgenauer Dämpfertechnologie zu versorgen. Das gilt für moderne Verbrennungsmotoren, die mit alternativen Kraftstoffen betrieben werden, genauso wie für die Bereiche Gaskompression und Windenergie. Ich sehe hier für uns wenig Risiken und sehr viele Möglichkeiten!

Vielen Dank für das interessante Gespräch.

Hasse & Wrede

Das 1897 in Berlin gegründete Traditionsunternehmen Hasse & Wrede ist heute Technologie- und Weltmarktführer im Bereich der Drehschwingungsdämpfer. Bereits seit 1921 zu Knorr-Bremse gehörend, werden heute weltweit Viskositätsdrehschwingungsdämpfer für Nutzfahrzeuge, Pkw, Schiffe und Industrieanwendungen produziert. Neben dem Firmen-, Produktions- und Entwicklungshauptsitz in Berlin mit 180 Mitarbeitenden und einem Entwicklungsstandort in China umfasst das Produktionsnetzwerk Werke in Nord- und Südamerika sowie in Asien.

Back to overview